Die wichtigsten Entscheidungen zum Persönlichkeitsrecht
Ein Überblick von RA Norman Buse, LL.M. (IP), Fachanwalt für Medienrecht und Stud. iur. Katja Wallerberger.
Das Persönlichkeitsrecht ist ein Rechtsgebiet, welches in besonderem Maße durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt und geprägt ist. Viele Grundsätze stammen aus berühmten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs oder des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dies liegt insbesondere daran, dass es – im Gegensatz zu vielen anderen Rechtsgebieten – kein umfassendes Gesetz gibt, welches den Persönlichkeitsrechtsschutz zum Gegenstand hat. Zwar gibt es Gesetze bzw. Verordnungen wie das Kunsturhebergesetz oder die Datenschutz-Grundverordnung. Diese regeln jedoch nur einen kleinen Teil der maßgeblichen Fragestellungen, namentlich das „Recht am eigenen Bild“ oder den Umgang mit personenbezogenen Daten.
Der folgende Beitrag soll einen Überblick zu einigen Entscheidungen geben, die immer wieder in medienrechtlichen Verfahren bzw. in der Rechtsberatung herangezogen werden und für jeden „Presserechtler“ ein Begriff sind.
Übersicht
1. „Caroline von Monaco“-Entscheidungen
2. „Wallraff-Entscheidung“ vom BVerfG
3. Urteil „Klinikdirektoren“ des BGH
4. BVerfG „Durchgeknallte Frau“
5. „Esra-Entscheidung“ des BVerfG
6. „Herrenreiter-Entscheidung“ des BGH
7. BGH „Bilanzanalyse“
8. BGH-Entscheidung „Hotelbewertungsportal“
9. BVerfG: „Soldaten sind Mörder“
10. „IM-Sekretär Stolpe“, Beschluss des BVerfG
11. „Babycaust-Entscheidung“ des BVerfG
12. BGH-Urteil „Der blaue Engel“
1. „Caroline von Monaco“-Entscheidungen
Caroline von Hannover, ehemalige von Monaco, klagte 1994 erstinstanzlich vor dem LG Hamburg gegen Boulevardzeitungen, die Paparazzi-Aufnahmen von ihr mit ihren Kindern und mit einem Dritten bei privaten Unternehmungen veröffentlichte. Als „Caroline-Urteile“ wird die Masse an Urteilen bezeichnet, die im Zuge dieser Persönlichkeitsrechtsverletzungen vom BGH, über das BVerfG bis hin zum EGMR erlassen wurden (LG Hamburg, Urteil vom 04.02.1994, Az.: 324 O 537/93; OLG Hamburg, Urteil vom 08.12.1994, Az.: 3 U 64/94).
Der BGH entschied 1995, dass der Schutz durch § 22 KunstUrhG die Bilder mit dem Dritten erfasst, wonach Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet und veröffentlicht werden dürfen.
Die übrigen Fotografien würden unter § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG fallen, da es sich bei der Prinzessin von Monaco um eine absolute Person der Zeitgeschichte handele. Demnach habe die Öffentlichkeit ein Informationsinteresse an den Handlungen und dem Umgang der Angehörigen des Fürstenhauses von Monaco, kurzum an ihrem Privatleben im weiteren Sinne. Folglich bestehe hier kein Unterlassungsanspruch wegen des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Interessant ist in dieser Entscheidung die Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte: Vertreter der ersteren Personengruppe müssen lediglich Berichterstattungen und dergleichen hinnehmen, wenn diese in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Geschehen, weswegen diese Person im Fokus der Öffentlichkeit steht, veröffentlicht werden. Personen, die dauerhaft im Fokus stehen, werden als absolute Personen der Zeitgeschichte gesehen und müssen mehr Einschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte hinnehmen (BGH, Urteil vom 19.12.1995, Az.: VI ZR 15/95 – „Caroline von Monaco II“).
Mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die vorangegangenen zivilgerichtlichen Urteile zog Prinzessin Caroline 1999 vor das BVerfG. Dieses führte eine Güter- und Interessenabwägung zwischen dem durch die Pressefreiheit geschützten Informationsinteresse der Allgemeinheit und dem Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten durch. Das BVerfG erklärt, dass der Schutz thematisch und räumlich beschränkt werde: Thematisch werden Angelegenheiten erfasst, die als derart privat eingestuft werden können, dass die Zurschaustellung als peinlich oder unschicklich empfunden werden könnte. Örtlich könne der Schutzbereich nicht auf das eigene Haus beschränkt werden, sondern müsse vielmehr auf Rückzugsorte wie abgeschiedene Bereiche in einem Restaurant oder Telefonzellen etc. erweitert werden. Ein unzulässiger Eingriff in diese Schutzsphäre liege vor, sobald die Arglosigkeit des Abgebildeten ausgenutzt wurde. Hinsichtlich der Fotos, auf denen die Kinder der Prinzessin abgebildet waren, entschied das BVerfG im Sinne der Beschwerdeführerin, da Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen, besonders im Hinblick auf Art. 6 GG(BVerfG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: 1 BvR 653/96 – „Caroline von Monaco“).
Prinzessin Caroline zog daraufhin 2004 weiter bis vor die kleine Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Diese entschied, dass durch die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Bilder das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK verletzt wurde, da das Recht auf Kontrolle der eigenen persönlichen Daten Teil der Definition vom Privatleben sei. Dem Recht aus Art. 8 EMRK stehe zwar Art. 10 EMRK entgegen, welcher das Recht auf freie Meinungsäußerung sichert. Art. 8 EMRK genieße jedoch einen höheren Schutz, für eine Abwägung zugunsten der freien Meinungsäußerung müsse die Verletzung einen wichtigen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse leisten. Dies war vorliegend nicht der Fall (EGMR, Urteil vom 24.06.2004, Az.: No. 59320/00).
Nach der Entscheidung durch den EGMR gab der BGH seine Unterscheidung von den sog. absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte auf und ging sodann dem sog. abgestuften Schutzkonzept über, nach welchem im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung beide sich gegenüberstehenden Interessen sorgfältig abgewogen werden müssen.
Für die Presse bedeutet diese Rechtsprechung, dass sich immer gefragt werden muss, ob eine Einwilligung (möglich wäre hier auch eine konkludente Einwilligung) in die Veröffentlichung des Bildnisses durch den Abgebildeten vorliegt. Falls dem nicht so ist, könnte § 23 Abs. 1 KunstUrhG diese rechtfertigen. Eine Schranke erfährt § 23 Abs. 1 KunstUrhG jedoch durch eine mögliche Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten i.S.v. § 23 Abs. 2 KunstUrhG . Dieser Schutzbereich wurde durch die letztinstanzliche Entscheidung erweitert und mit den Kriterien der thematischen und räumlichen Beschränkungen abgesteckt.
2. „Wallraff-Entscheidung“ vom BVerfG
Die Wallraff-Entscheidung I. vom BVerfG hatte Folgendes zum Gegenstand:
Der investigative Journalist Hans-Günter Wallraff ließ sich 1977 unter falschem Namen als freier Mitarbeiter beim Axel Springer Verlag einstellen, konkret bei der Bild-Zeitung, und hat nach monatelanger Tätigkeit als Redakteur das Buch „Der Aufmacher. Der Mann, der bei „Bild“ Hans Esser war“ herausgebracht. Der Enthüllungsroman setzt sich inhaltlich kritisch mit den journalistischen Methoden, insbesondere mit unsauberer Recherchetätigkeit, und der redaktionellen Arbeit unter Veröffentlichung von Betriebsinterna auseinander.
Die Axel Springer Verlag AG klagte als Herausgeberin auf Unterlassung aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB gegen die Veröffentlichung zahlreicher Textpassagen, unter anderem die eines Gedächtnisprotokolls einer Redaktionskonferenz, vor dem Landgericht Hamburg. Der Klage wurde stattgegeben (LG Hamburg, Urteil vom 20. Oktober 1978, 74 O 144/78), woraufhin die Beklagten zu 1 (Verlag Kiepenheuer & Witsch) und 2 (Günter Wallraff) Berufung vor dem OLG Hamburg einlegten.
Das Berufungsgericht befand die Wiedergabe von Inhalten der o.g. Redaktionskonferenz in Form eines Gedächtnisprotokolls sowie die Veröffentlichung eines Manuskriptes mit handschriftlichen Änderungen des Chefreporters als unzulässig und bestätigte somit den Unterlassungsanspruch seitens der Klägerin. Dabei wird sich auf die Verletzung am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gestützt. Die Geheimhaltung von Betriebsinterna sei gerade im Journalismus-Gewerbe essentiell, um sich vor unlauterem Wettbewerb und der Abschreckung potentieller Informanten zu schützen. Zudem sei die Informationsbeschaffung an sich rechtswidrig gewesen, womit die Veröffentlichung ebenfalls rechtswidrig sei, zumal das OLG Hamburg kein höherrangiges Interesse an der Veröffentlichung des u.a. streitgegenständlichen Gedächtnisprotokolls erkennt (OLG Hamburg, Urteil vom 10. Mai 1979, Az.: 3 U 197/78).
Da zwei der vier Klageanträge abgewiesen wurden, legten sowohl Klägerin als auch Beklagte Revision vor dem BGH ein. Der BGH geht ebenfalls von einer Güter- und Interessensabwägung aus und bezieht dabei insbesondere die Sittenwidrigkeit der Informationsbeschaffung mit ein. Es wird auf den Schutz vertrauensvoller Zusammenarbeit im Betrieb und die besonders enge Pflichtenstellung eines Arbeitnehmers zum Arbeitgeber abgestellt. Interessant dabei ist, dass dies auch gelten soll, wenn keine ausdrückliche Verschwiegenheitsvereinbarung vorliegt. Maßstab für die Reichweite der Vertragspflichten sei vorliegend jedoch Art. 5 GG. Hier handelt es sich um einen zur Tatzeit bereits aus dem Betrieb ausgeschiedenen Mitarbeiter, weshalb eine kritische Äußerung über Vorgänge im Betrieb erlaubt sei; Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die Öffentlichkeit ein ernsthaftes Interesse daran hat, weil sich der Inhalt auf etwas bezieht, das unmittelbare Wirkung auf die Allgemeinheit ausübt.
Der Grund läge darin, dass einem Unternehmen kein absolut geschütztes Persönlichkeitsrecht zukommt wie es bei natürlichen Personen in der Regel der Fall ist. Ausnahmen bestehen hinsichtlich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wie beispielsweise die Identitäten der Informationsquellen. Die Aufzeichnung der Redaktionskonferenz gebe aber derartige Informationen nicht preis, ergo sei der Informantenschutz nicht betroffen. An dieser Stelle sei klar darauf hingewiesen, dass Betriebsinterna nicht zu Betriebsgeheimnissen zählen, da sie wettbewerbsrechtlich nicht relevant sind.
Zur Veröffentlichung der Manuskriptseite, die mit handschriftlichen Streichungen und Einfügen von „falschen“ Zitaten versehen ist, führt der BGH aus, dass es dem Beklagten um die Offenlegung der „missbräuchlichen Einflussnahme der Redaktion“ an der öffentlichen Meinungsbildung ginge. Mithin könne die Veröffentlichung als Beleg für jene Kritik nicht verboten werden. Im Streitfall sei also stets davon auszugehen, dass die schutzwürdigen Anliegen des Presseorgans hinter dem Wert der Informationen für die betroffene Öffentlichkeit zurücktreten.
Die Revision der Klägerin bezüglich der übrigen beiden Punkte bleibt ohne Erfolg, womit die Klage in ihrer Gesamtheit zurückgewiesen wurde (BGH, Urteil vom 20. Januar 1981, Az.: VI ZR 162/79).
Die Klägerin sieht sich durch die Abweisung ihres Klageantrags in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verletzt und legt Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sei insofern verletzt worden, als dass mit der Wiedergabe der Redaktionskonferenz in die von der Eigentumsgarantie umfasste betriebliche Sphäre schwer eingegriffen worden sei.
Das BVerfG stellt fest, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hinsichtlich der Schilderung der Redaktionskonferenz verletzt wurde. Es entschied entgegen der Auffassung des BGH, dass von diesem Schutzbereich auch die Vertraulichkeitssphäre der Redaktionsarbeit eines Presseunternehmens umfasst ist. Es ergebe sich aus dem Gewohnheitsrecht und der Bedeutung einer „freien Presse für einen freiheitlichen Staat“ (vgl. BVerfGE 20, 162 (174 f.)). Bei der Bemessung der Reichweite für diesen Schutzbereich wurde die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit als eine notwendige Bedingung zur Funktion der freien Presse erachtet.
Diese Vertraulichkeit wird nicht ausschließlich vor den Eingriffen durch den Staat geschützt, sondern vielmehr können auch Private diese essentielle Bedingung beeinträchtigen. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG gilt nicht vorbehaltlos. Allerdings sind die Grenzen bei privatrechtlichem Bezug enger zu ziehen als bei der Abwehr gegen staatliche Eingriffe.
Vorliegend kommt die verfassungsimmanente Schranke durch Drittwirkung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 und die von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG für das Recht, Meinungsäußerungen schriftlich zu publizieren, in Betracht
Das BVerfG stellt, mit dem BGH-Urteil konform gehend, fest, dass die Veröffentlichung des manipulierten Manuskriptes auch bei deren rechtswidriger Beschaffung von Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist. Grundsätzlich hat die Publikation von durch Täuschung erworbenen Informationen jedoch zu unterbleiben, wenn der Täuschende in der Absicht handelt, dem Getäuschten gezielt zu schaden. Die Ausnahme dazu liegt im vorliegenden Fall darin, dass Herr Wallraff damit die Öffentlichkeit unterrichten wollte und die Informationen von hoher Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung sind.
Zusammenfassend war die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Pressefreiheit hinsichtlich des Gedächtnisprotokolls erfolgreich, da die Vertraulichkeit der Pressearbeit der Beschwerdeführerin in der Urteilsfindung vernachlässigt wurde.
Bezüglich der Wiedergabe der manipulierten Manuskriptseite blieb die Beschwerde jedoch erfolglos, da die Schranke aus Art. 5 Abs. 1 GG bei einer Güterabwägung zugunsten der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung einschlägig ist (BVerfG, Urteil vom 25. Januar 1984, Az.: 1 BvR 272/81).
3. Urteil „Klinikdirektoren“ des BGH
Im BGH-Urteil „Klinikdirektoren“ werden unwahre Tatsachenbehauptungen, die ihrerseits nicht den Schutz von Art. 5 GG beanspruchen können, weiter von reinen Meinungsäußerungen abgegrenzt: Im Kern kann die Veröffentlichung von Rechtsauffassungen nicht mit Tatsachenbehauptungen gleichgestellt werden.
Die Kläger sind eine Gruppe von Klinikdirektoren; die Beklagten sind der damalige Vorsitzende und ein weiteres Mitglied der SPD-Fraktion im Landtag des Saarlandes. Die Beklagten hatten nach Beendigung eines durch Antrag der SPD einberufenen Untersuchungsausschusses von 1976/77 die streitgegenständliche Druckschrift mit dem Titel „Quo Vadis Universitas Saraviensis?“ veröffentlicht, in welchem die Mindermeinung der SPD durch einseitige Präsentation des Ergebnisses des besagten Untersuchungsausschusses der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Thema des Ausschusses waren die Nebentätigkeiten der Klinikdirektoren von Universitätskliniken in Form von Beteiligungen an kassenärztlicher Versorgung. In der Druckschrift forderte die SPD die Schließung einzelner Kassenarztpraxen, welche sich stattdessen in Polikliniken zusammenschließen sollen. Es wird besonders die Hämodialyse-Behandlung (Blutreinigungsverfahren bei bspw. Niereninsuffizienz) in Kassenarztpraxen kritisiert, die nach Auffassung der Beklagten nicht kassenärztlich abrechenbar seien.
Die Kläger sind durch drei Instanzen gegangen, wobei deren Klage auf Widerruf und Unterlassung am Landgericht 1979 zunächst abgewiesen wurde, woraufhin sie 1980 Berufung zum Oberlandesgericht Saarbrücken eingelegt hatten. Die Berufungsinstanz entschied zulasten der Beklagten, woraufhin diese Revision einlegten. Vor dem BGH letztlich ist in dem Verfahren, in welchem die Klinikdirektoren als Kläger auftreten, nur noch die Äußerung „Die Kassenarztpraxen der Kläger an den Universitätskliniken seien illegal.“ Streitgegenstand.
Die erste Problematik tut sich bereits im Punkt der Passivlegitimation der Beklagten auf, da sie als Abgeordnete des Landtages grundsätzlich Indemnität genießen. Die Grenzen ziehen jedoch sowohl das zuständige Landgericht als auch der BGH dahingehend, dass die Straffreiheit nur bei direktem Bezug zur inneren Parlamentsarbeit wirksam ist. Das bedeutet, dass gem. Art. 81 der Saarländischen Verfassung der Vorwurf im direkten Zusammenhang mit der Ausübung des jeweiligen Abgeordnetenmandats stehen muss. Der Indemnitätsschutz greift vorliegend jedoch nicht, da die streitgegenständliche Druckschrift als Parteischrift durch die Beklagten in Ausübung ihrer Funktion als Repräsentanten der SPD veröffentlicht wurde.
Der BGH unterscheidet die Widerrufsklage von der Unterlassungsklage inhaltlich voneinander, da erstere sich lediglich gegen Tatsachenbehauptungen und letztere sich auch gegen ehrverletzende Meinungsäußerungen richten kann.
Die Berufungsinstanz hat der Widerrufsklage stattgegeben, weil sie den Illegalitätsvorwurf als unwahre Tatsachenbehauptung eingestuft hatte. Der BGH verneint das jedoch mit der Begründung, dass es sich dabei um das Kundtun einer Rechtsauffassung handele. Diese, wenn auch fragliche, subjektive Bewertung der rechtlichen Lage mündet in ein von den Beklagten angestrebtes Ermittlungsverfahren wegen Betruges und Untreue, welches jedoch eingestellt wurde. Insbesondere ist die Beklagtenpartei der Auffassung, dass die Umwandlung von Hämodialyse-Behandlungen zu einer kassenärztlich abrechenbaren Tätigkeit gegen zwingendes Recht verstoße, da diese eigentlich Standardleistungen in allgemeinen Uniklinken seien. Der konkrete Vorwurf illegalen Handelns findet seine Niederschrift lediglich im „Vorwort“ der Parteischrift, weshalb der BGH dem Durchschnittsleser unterstellt, dass er die räumliche und thematische Abgrenzung zum Rest der Veröffentlichung erkennen kann. Somit legt der BGH fest, dass wenn man etwas als strafrechtlich relevant deklariert, es sich um ein reines Werturteil handelt und nicht etwa um eine Tatsachenbehauptung.
Die Unterlassungsklage bezüglich weiterer Veröffentlichungen dieses Vorwurfs weist der BGH ebenfalls ab, da es sich nicht um ehrverletzende Äußerungen oder gar Schmähkritik handeln soll. Wie bereits ausgeführt, wird der Illegalitätsvorwurf als subjektive, wertende Kritik bewertet. Und deren Vertretung und Verbreitung in der Öffentlichkeit hat ein durch Art. 5 GG normiertes schutzwürdiges Interesse (BGH, Urteil vom 22. Juni 1982, Az.: VI ZR 253/80).
4. BVerfG „Durchgeknallte Frau“
Die Entscheidung „Durchgeknallte Frau“ des Bundesverfassungsgerichts hatte zum Gegenstand, dass die Beschwerdeführerin, eine ehemalige Fürther Landrätin und CSU-Politikerin, 2006 für ein Gesellschaftsmagazin auf provokante Weise posierte und dabei teilweise Latex-Kleidung trug. Daraufhin hatte die Bild-Zeitung einen Artikel veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt: „(…) Auf sechs Doppelseiten (…) lassen Sie sich in Dominaposen (…) fotografieren. Die Fotos sind klassische Pornografie. (…) Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie ihren Zustand nicht auf uns Männer (…)“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.12.2013, 1 BvR 194/13; Pkt. I 1)
Die Beschwerdeführerin reagierte mit einer Klage auf Unterlassung und Geldentschädigung vor dem zuständigen Landgericht. Dieses entschied zugunsten der Klägerin und verurteilte die Beklagtenpartei zur Unterlassung bezüglich der Veröffentlichung der Äußerungen „durchgeknallte Frau“ und „die Fotos sind klassische Pornografie“ sowie zur Unterlassung, im Zusammenhang mit der Fotoreihe von „Domina-Posen“, einem „Pornofilm“ und „pornografischen Inhalten“ zu sprechen. Das Landgericht sprach der Klägerin jedoch keine Geldentschädigung zu. Beide Parteien gingen nach Urteilsverkündung in Berufung. Das OLG München stufte sämtliche streitgegenständliche Äußerungen als Werturteile ein, welche grundsätzlich von Art. 5 GG geschützt sind. In der Güterabwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ließ es die Meinungsfreiheit schwerer wiegen und wies somit die Klage in ihrer Gesamtheit ab (OLG München, Urteil vom 23. Oktober 2012, Az.: 18 U 2334/12).
Die Beschwerdeführerin fühlte sich durch das Urteil des OLG, welches die angegriffenen Äußerungen zu ihrer Person zulässt, in weiter in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt und legte Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein.
Dieses sah den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eröffnet an, da es auch vor Äußerungen schützt, die geeignet sind, die betroffene Person herabzuwürdigen. Doch das Grundrecht der Beschwerdeführerin kann seine Schranke im Recht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG finden. Dieses wiederum kann gem. Art. 5 Abs. 2 GG durch allgemeine Gesetze und das Recht auf persönliche Ehre begrenzt werden (sog. Schranken-Schranke). Die zivilgerichtliche Anspruchsgrundlage bei Unterlassung wäre dann § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 BGB.
Für die Beurteilung über die Rechtfertigung des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin stimmt das BVerfG zunächst der Berufungsinstanz dahingehend zu, dass es sich bei den streitgegenständlichen Äußerungen um Meinungsäußerungen und keine Tatsachenbehauptungen handelt. Jedoch bemängelt das BVerfG die Güterabwägung in Bezug auf die Bezeichnung von der Beschwerdeführerin als „durchgeknallte Frau“. Dem Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin wurde dabei ein zu geringes Gewicht beigemessen. Außerdem wird die Schranke des Rechts auf persönliche Ehre bei der Abwägung restlos übergangen. Es handelt sich bei dieser Bezeichnung um eine verletzende Spekulation über Frau Pauli als Privatperson und stellt eine Verächtlichmachung dar, die keinen Anknüpfungspunkt in der Fotoreihe findet.
Das BVerfG weist weiter darauf hin, dass im vorliegenden Fall keine Parallele zum Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“ (BVerfG, 12.05.2009, 1 BvR 2272/04) zu ziehen ist, da das Wort „durchgeknallt“ in einem gänzlich anderen Kontext gefallen ist und es sich zudem um eine spontane Unmutsbekundung handelte. Vorliegend hatte der Verfasser den Text jedoch ganz bewusst und in der Absicht, die Beschwerdeführerin zu verletzen, verfasst. Das BVerfG verwies die Sache zurück an das OLG München, welches sein Urteil entsprechend abänderte (BVerfG, Beschluss vom 11. Dezember 2013, Az.: 1 BvR 194/13; OLG München, Urteil vom 13. Mai 2014, Az.: 18 U 2334/12).
5. „Esra-Entscheidung“ des BVerfG
Die Esra-Entscheidung des BVerfG ist bis heute höchst umstritten in Literaturkreisen und wird von vielen Vertretern der Kunstindustrie als einschneidender Eingriff in die Kunstfreiheit charakterisiert. Eine nicht unähnliche Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Kunstfreiheit ergab sich bereits knapp 100 Jahre zuvor im Zuge von Thomas Manns Schlüsselroman „Buddenbrooks- Der Verfall einer Familie“.
Die Herausgeberin und Maxim Biller als Autor von „Esra“ beharren jedoch gerade darauf, dass es sich vorliegend um keinen Schlüsselroman handele. Per Definition soll der Leser eines Schlüsselromans bewusst auf die Parallelen zur Realität aufmerksam gemacht werden, womit die Gefahr von Persönlichkeitsrechtsverletzungen enorm gesteigert wird.
Im streitgegenständlichen Roman geht es um die Liebesgeschichte zwischen dem jüdischen Ich-Erzähler Adam und der türkischstämmigen Schauspielerin Esra. Die Beziehung der beiden wird maßgeblich durch Esras Mutter negativ beeinflusst, sodass sie letztlich zerbricht. Esra wird als unmündige, schüchterne und eher passive Frau beschrieben, die unter der „Fuchtel“ ihrer herrschsüchtigen Mutter steht, die zudem alkoholsüchtig und depressiv ist. Adam erzählt außerdem von Esras todkranker Tochter und der empfindlichen Mutter-Tochter-Beziehung. Esra hatte Adam als Freund ihres Ehemannes kennengelernt, doch nachdem auch die Beziehung zu Adam zerbrochen war, wurde sie von ihrem neuen Freund schwanger. Ihre Mutter hat sie zur Abtreibung gedrängt, doch Esra entscheidet sich für das Kind. Der Erzähler vermutet, dass Esra ihre kranke Tochter ersetzen können will, sollte diese sterben. Im Roman erhalten sowohl Esra als auch ihre Mutter Preise, die eine für ihre Schauspielerei, die andere für ihren Einsatz als Bürgerrechtlerin. Außerdem erlebt der Leser sehr detailgenau das sexuelle Verhältnis zwischen den beiden Liebenden sowie Einzelheiten aus dem Leben der Mutter wie die Anzahl ihrer Ehen, ihrem Hotel in der Türkei, ihrem Versicherungsbetrug und dem Gerücht, dass sie ihre Eltern bestohlen haben soll, um ihnen dann auch noch die Mafia auf den Hals zu hetzen.
Der Autor des Romans unterhielt eine längere Liebesbeziehung zu einer deutsch-türkischen Schauspielerin, die sich als Klägerin zu 1) mit zivilrechtlichen Unterlassungs- und Geldentschädigungsansprüchen gegen die Schilderungen über Esra zur Wehr setzte, da sie sich eindeutig in dieser Figur wiedererkannte. Die Mutter, eine Politologin, erkannte sich in Esras Mutter wieder und erhob als Klägerin zu 2) ebenfalls Klage.
Beide Klägerinnen beantragten zunächst einstweilige Verfügungen auf ein Verbot des weiteren Vertriebs von „Esra“, wovon bis zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere tausend Exemplare verkauft wurden. Die Verfügung wurde nicht erlassen, weil der Verlag bereits gemeinsam mit Biller nach der Abgabe von Unterlassungserklärungen diverse Streichungen und Änderungen vorgenommen hatte und damit eine Neufassung auf den Markt brachte. Die Klägerinnen sahen darin noch immer eine biografische Darstellung ihrer Personen, in denen sie herabgewürdigt werden. Das Landgericht verurteilte auf Grundlage von §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG den Verlag zur Unterlassung der Veröffentlichung, Auslieferung und des Vertriebs von „Esra“. Damit ließ es die Kunstfreiheit hinter das Persönlichkeitsrecht zurücktreten (LG München I, Urteil vom 15. Oktober 2003, Az.: 9 O 11360/03).
Das OLG wies die Berufung der Beklagten zurück, da beide Klägerinnen für einen bedeutenden Leserkreis identifizierbar und somit unmittelbar und individuell betroffen seien. Die Klägerin wurde in ihrem Recht am eigenen Lebensbild und auf Privat- und Intimsphäre verletzt durch die Schilderungen aus dem Sexualleben und bezüglich der Überlegungen rund um die Abtreibung sowie in Bezug auf ihre tatsächlich schwerkranke Tochter. Durch die biografischen Übereinstimmungen könne der Leser nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden, was die Klägerin zu 1) nicht hinnehmen müsse. Die Klägerin zu 2) werde ebenfalls in ihrem Recht auf Privatsphäre und am eigenen Lebensbild verletzt, weil der Leser nicht zwischen ihr und der Romanfigur mit erheblichen Charakterschwächen unterscheiden könne (OLG München, Urteil vom 06. April 2004, Az.: 18 U 4890/03).
Auch der BGH wies die Revision zurück, da er mit beiden Vorinstanzen konform geht. Er definiert die Erkennbarkeit als Voraussetzung für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung so, dass die Person auch ohne namentliche Nennung „zumindest für einen Teil des Leser- und Adressatenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend zu erkennen sei“. Er stellt fest, dass weder Kunstfreiheit noch das Persönlichkeitsrecht von Anfang an schwerer wiege, weshalb eine Güterabwägung vorgenommen werden müsse. Allerdings habe der Autor im Ergebnis keine selbständigen Kunstfiguren geschaffen, womit die künstlerische Verfremdung fehle. Der BGH verbietet die Verbreitung des gesamten Werkes, da die Streichungen bzw. Änderungen nicht so vorgenommen werden könnten, als dass die Struktur und die Botschaft des Romans nicht zerstört würden (BGH, Urteil vom 21. Juni 2005, Az.: VI ZR 122/04).
Der Verlag legte daraufhin Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein und rügt darin die Verletzung von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Die Tragweite und Bedeutung der Kunstfreiheit sei von den Gerichten verkannt worden, indem der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts unverhältnismäßig überdehnt wurde. Die Voraussetzung zur Erkennbarkeit auf einen kleinen Teil der Leserschaft, der auch nur aus dem mehr oder minder großen Bekanntenkreis bestehen kann, sei unzulässig im Hinblick auf die Mephisto-Rechtsprechung (BVerfGE 30, 173 ff.), nach welcher der Leserkreis bedeutend größer sein muss. Die Vorinstanzen sind auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich um einen Schlüsselroman handelt. Der Leser könne nämlich sehr wohl erkenn, dass es sich um Fiktion handelt, die im Gegensatz zu Presseberichten und auch teilweise Schlüsselromanen keine Wirklichkeitstreue für sich beansprucht. Es wurden weiter sehr wohl künstlerische Verfremdungen vorgenommen, um die Verselbständigung der Romanfiguren zu gewährleisten. Der Verlag rügt außerdem, dass staatliche Gerichte nicht über künstlerische Qualitätsmaßstäbe entscheiden dürfen bzw. können. Hierin sieht die Beschwerdeführerin eine erhebliche Gefährdung der Kunstfreiheit. Durch die unrichtige Einordnung von Fiktion als biografische Realität kommen die Gerichte zu dem unrichtigen Schluss, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorliegen. Reale Personen können schließlich nicht durch fiktionale Schilderungen in ihren Rechten verletzt werden. Es wurde laut der Beschwerdeführerin auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, indem das gesamte Buch verboten wurde. Zur Zielerreichung sei dies nicht erforderlich gewesen. Die erhöhte Identifizierbarkeit der beiden Klägerinnen durch den Prozess dürfe außerdem entgegen der Meinung des OLG München nicht berücksichtigt werden, da dies Umstände sind, die außerhalb des Romans liegen, mithin zur Beurteilung nicht herangezogen werden dürfen.
Zu den Verfassungsbeschwerden wurden Stellungnahmen vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem Verband deutscher Schriftsteller, der Schriftstellervereinigung P.E.N.-Zentrum sowie den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens abgegeben. Letztere beharrten auf ihrer Meinung, dass der Roman nicht fiktiv sei und dass eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht deshalb ausgeschlossen werden dürfe, weil diese Literaturform sowieso keinen Wahrheitsanspruch erhebe. Die drei übrigen Stellungnahmen nahmen „Esra“ in Schutz, indem sie betonen, dass dem Roman als Kunstwerk nicht genug Bedeutung zugemessen wurde. Sie bemängeln die scheinbare Willkür der Gerichte, wenn es darum geht, einen neuen Maßstab für die Erkennbarkeit festzulegen (s.o.), indem man Begriffe wie „Freundeskreis“ und „nähere Umgebung“ statt des gängigeren „Verständiger Durchschnittsleser“ verwendet. Es wird erklärt, dass Literatur nun einmal durch Vorbilder aus der Realität inspiriert werde und dass die gesamte zeitgenössische Literatur unter einer durch Angst vor Zivilklagen herbeigeführten Prohibition leiden könnte. Es wird auch Stellung bezogen, indem vorgetragen wurde, dass es sich bei „Esra“ um keinen Schlüsselroman handele und dass die wahren Identitäten erst durch den Prozess einer breiten Masse offenbart wurden.
Das BVerfG befand die Verfassungsbeschwerde als zulässig, da auch der Verleger als Vermittler zwischen Autor und Leser im Werk- und Wirkbereich eines Buches sich auf die Kunstfreiheit berufen kann. In der weiteren Prüfung kommt es allerdings zum Schluss, dass die Beschwerde nur gegen die Urteile begründet ist, insofern diese die Ansprüche der Klägerin zu 2) betreffen. Grund dafür ist die schwere Betroffenheit der Klägerin zu 1), nicht jedoch die der Klägerin zu 2). Laut BVerfG ergibt sich hier die Betroffenheit die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Indizien und der identischen Preise in der Urfassung des Romans, die Klägerinnen eindeutig Esra und ihrer Mutter zuordnen zu können. Es erkennt auch den zuvor angewendeten Maßstab für die Erkennbarkeit an und führt begründend aus, dass gerade die Kenntnis des näheren Bekanntenkreises um die wahren Identitäten besonders hohen Schaden anrichten kann.
Laut BVerfG lautet die elementare Frage, ob die Beeinträchtigung so schwerwiegend ist, dass die Kunstfreiheit zurücktreten muss. Die zugehörige Gleichung setzt sich daraus zusammen, wie sehr der Autor vom Leser verlangt, die Realien zu erkennen und wenn sie das dann tun, wie schwer die individuelle Beeinträchtigung ist. Es gibt weiter aber zu, dass Romane tatsächlich grundsätzlich als Fiktion zu betrachten seien und es einem verständigen Leser unterstellt werden kann, einen Roman auch als solche wahrzunehmen. Es insistiert jedoch auf einer hinreichenden Verfremdung des „Abbilds“ vom „Urbild“, nach welcher der Autor dem Leser begreiflich macht, dass er eben nicht von den Realien auszugehen hat.
Die Klägerin zu 2) wurde im Roman zwar erkennbar gemacht, aber der Autor legt in seinen Beschreibungen nicht nahe, alle Handlungen und Charaktermerkmale auf die Klägerin zu beziehen. Außerdem werden keine intimen Details geschildert und es handelt sich insgesamt um keine Schmähung. Das BVerfG erkennt „Esra“ als einen Roman an, in welchem bewusst mit den Grenzen zur Realität gespielt wird, ein literarisch Verständiger jedoch erkenne, dass es sich um keine Biografie handelt. Also: Die bloße Erkennbarkeit und negative Zeichnung reichen für Ansprüche aus dem Persönlichkeitsrecht nicht aus
Die Verfassungsbeschwerde hat hinsichtlich der gerichtlich zugesprochenen Ansprüche der Klägerin zu 1) jedoch keinen Erfolg, da sie erkennbar ist und zudem schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorliegen. Im Roman wird dem Leser detailreich und realistisch von der intimen Beziehung zum Autor bzw. zu Adam, der missglückten Ehe und der neuen Beziehung erzählt. Außerdem ist die Krankheit der Tochter und die nicht durchgeführte Abtreibung ein großes Thema, was den besonderen Schutz der Mutter-Kind-Beziehung gefährdet, zumal die kranke Tochter durch ihre Mitschüler identifiziert werden kann. Die eben genannten Punkte sind alle der Wirklichkeit entnommen, sodass hier der Autor dem Leser sehr wohl nahelegt, die Realien dahinter zu sehen.
Letztlich muss es dem Verlag und dem Autor dennoch möglich gemacht werden, eine Fassung zu veröffentlichen, die verfassungskonform geschrieben wurde. Der Umstand, dass die Verfremdung aufgrund des Prozesses und der damit einhergehenden erhöhten Identifizierbarkeit sehr schwer ist, muss vom Beschwerdeführer hingenommen werden. Die streitgegenständliche Version sei jedoch nicht verfassungskonform und könne in seiner Gesamtheit verboten werden.
Die Entscheidung des BVerfG fiel jedoch nicht einstimmig. Die Senatsmitglieder stimmten 5:3 und sahen damit zum großen Teil einen unzulässigen Eingriff in die Kunstfreiheit in dem Verbot von „Esra“. Dieser Meinung schließt sich die Kunstszene größtenteils an, besteht so doch auch die Gefahr einer neuen Form von verfassungskonformer Zensur.
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6. „Herrenreiter-Entscheidung“ des BGH
Die „Herrenreiter-Entscheidung“ des BGH aus den 50ern gilt als Vorgänger der weiter oben dargestellten Caroline-von-Monaco-Entscheidungen und zählt somit zu den Fällen, die die Rechtsprechung bezüglich des Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eigenen Bild maßgeblich geprägt haben.
Der Kläger ist ein angesehener Herren- bzw. Dressurreiter und nimmt als solcher an öffentlichen Wettbewerben teil. Bei diesen Veranstaltungen werden Fotografien der Teilnehmer angefertigt. Eine dieser Fotografien wurde von der Beklagtenpartei ohne die Einwilligung des abgebildeten Klägers zu Werbezwecken missbraucht. Die Beklagte ist Herstellerin von pharmazeutischen Präparaten, die potenzfördernd wirken und hat die streitgegenständlichen Werbeplakate in der gesamten damaligen Bundesrepublik, folglich auch in der Heimatstadt des Klägers, aufgehängt.
Die Beklagte hatte eine externe Werbefirma mit der Auswahl des Werbemotivs und der Erstellung der Plakate beauftragt. Diese gab an, mittels Retuschierungen das Gesicht des Abgebildeten hinreichend verfremdet zu haben. Durch die Einleitung des Verfahrens habe die Beklagte jedoch erst davon erfahren, dass der Kläger darauf abgebildet ist und habe infolgedessen sofort diese Werbung eingestellt.
Der Rechtsstreit ging durch drei Instanzen und wurde am 14. Februar 1958 endgültig durch den BGH entschieden. Das erstinstanzliche Landgericht Köln verurteilte die Beklagte zu Schadensersatz in Höhe von 1.000 DM und zog dazu die Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 22 KUG hinzu. Der Kläger hatte, wie in § 22 KUG vorausgesetzt, keine Einwilligung zur Veröffentlichung seines Bildnisses gegeben. Die Schadensersatzpflicht ergibt sich jedoch nicht allein aus dem Kunsturhebergesetz, weshalb § 823 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB a.F.) hinzugezogen wurde. Das LG unterstellt der Beklagten hierbei ein Verschulden, da diese sich nicht hinreichend vergewissert habe, dass das in Auftrag gegebene Plakat mit der Einwilligung des Abgebildeten angefertigt wurde. Der Vortrag der Beklagtenpartei hinsichtlich der im Vorfeld geprüften Seriosität jener beauftragten Firma ist laut Landgericht nicht genügend, um ein Verschulden auszuschließen. Den Schaden berechnet das Gericht anhand einer fiktiven Lizenzgebühr, die an den Kläger auszurichten gewesen wäre, wenn von vornherein ein Lizenzvertrag geschlossen worden wäre.
Das Oberlandesgericht Köln setzt diese fiktive Lizenzgebühr bei 10.000 DM und somit höher als die Vorinstanz an, weil es den Umstand berücksichtigt, dass der Kläger nicht in einen derartigen Lizenzvertrag eingewilligt hätte, wäre er nicht entsprechend hoch vergütet worden.
Der BGH geht grundsätzlich von der Möglichkeit aus, einen Schaden anhand einer fiktiven Lizenzgebühr festzusetzen, aber befindet diese Variante vorliegend für unpassend. Den Grund habe die Berufungsinstanz bereits selbst erkannt, indem sie bei der Schadensbemessung beachtet hat, wie unwahrscheinlich das Zustandekommen eines Lizenzvertrages gewesen wäre. Folglich könne hier keine fiktive Lizenzgebühr als Maßstab für einen Schadensersatzanspruch oder ein Anspruch aus Gründen der ungerechtfertigten Bereicherung gem. §§ 812 ff. BGB durchgesetzt werden.
Und damit steht man vor dem wegweisenden Aspekt dieser BGH-Entscheidung: Der Schaden entsteht aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung, der Geschädigte musste mithin keinen finanziellen Verlust erleiden. Aus diesem immateriellen Schaden ergibt sich, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch, sondern eine Geldentschädigung zusteht. Die Anspruchsgrundlage sieht der BGH zum damaligen Zeitpunkt im § 253 II BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Die Geldentschädigung kann durchgesetzt werden, weil der Kläger durch den bildhaften Zusammenhang zwischen einem sexuellen Stimulans und ihm in einer Reiterposition in eine demütigende Lage versetzt wurde, die ihn in seinem Recht auf persönliche Ehre, was vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt wird, verletzt. Die Verletzung kann auch nicht gerechtfertigt werden, weil im Zuge einer Güter- und Interessensabwägung vorliegend das wirtschaftliche Interesse der Beklagten hinter das Recht auf persönliche Ehre mit Menschenwürdekern zurücktritt. Der Eingriff in die Rechte des Klägers wiegt hier besonders schwer, da die Intimsphäre dahingehend berührt wurde, dass dem Betrachter des Plakates suggeriert werde, der Abgebildete würde Potenzmittel benötigen.
Der BGH entscheidet ferner gem. § 287 Abs. 1 ZPO, dass die 10.000 DM ungeachtet der geänderten Anspruchsart eine angemessene Geldentschädigung darstellen. Die Geldentschädigung bzw. das „Schmerzensgeld“ wird vom BGH als Ausgleich für die Persönlichkeitsminderung und als Genugtuung dem Schädiger gegenüber definiert (BGH, Urteil vom 14. Februar 1958, Az.: I ZR 151/56).
7. BGH „Bilanzanalyse“
Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches den natürlichen Personen Schutz bietet, hat die Rechtsprechung auch den juristischen Personen in bedingtem Maß ein Persönlichkeitsrecht zugestanden, um sich u.a. vor rufschädigenden Äußerungen oder ausspionierenden Handlungen schützen zu können. Allerdings basiert das sogenannte Unternehmenspersönlichkeitsrecht nicht auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, weil sich juristische Personen naturgemäß nicht auf die Menschenwürde beziehen können. Es kann sich lediglich auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen, weshalb das Persönlichkeitsrecht von Unternehmen weniger Schutz bietet als jenes von natürlichen Personen.
Besonders beispielhaft ist der folgende Fall, in welchem die Klägerin, ein Unternehmen, sich in ihrer Klage gegen einen Wirtschaftsprofessor richtet. Die konkrete Verletzungshandlung liegt in der didaktisch-kritischen Analyse des nicht anonymisierten Jahresabschlusses der Klägerin im Rahmen eines wirtschaftswissenschaftlichen Seminares. In den Seminaren wird den Teilnehmern vermittelt, wie man Jahresabschlüsse von Unternehmen aus Sicht von Banken und Steuerprüfern kritisch untersucht und analysiert. Die Klägerin diente dabei als Fallbeispiel und wurde mit Formulierungen wie „(…) die Ertragslage (…) als sehr schlecht einzustufen (…)“, „die Finanzlage (…) ist nach den vorliegenden Zahlen als sehr kritisch zu beurteilen“, „die Bonität ist ganz offensichtlich schlecht“ und „(…) dürfte (…) Schwierigkeiten haben, Kredite zurückzuzahlen“ den Seminarteilnehmern regelrecht als negatives Beispiel vorgeführt.
Außergerichtlich hatte die Klägerin Unterlassung bzw. das Unterschreiben einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, Streichung der Daten sowie eine Entschuldigung gefordert. Der Beklagte kam den Forderungen nur insofern nach, als dass er stillschweigend die streitgegenständlichen Unterlagen aussortiert und nicht mehr verwendet hat. Außerdem sollte es keine weitere Seminarreihe zu diesem Thema geben, weshalb aus Sicht des Beklagten die Wiederholungsgefahr ausgeräumt sei.
Die Betroffene sah das anders und klagte auf Unterlassung bezüglich des Versendens, Diskutierens und der Zugänglichmachung ihrer Jahresabschlüsse sowie auf Unterlassung des Äußerns der o.g. Zitate. Das Landgericht wies die Klage ebenso ab wie das Oberlandesgericht die Berufung als unbegründet zurückwies.
Das Oberlandesgericht negierte eine Wiederholungsgefahr. Es führt aus, dass grundsätzlich die Vermutung einer Wiederholungsgefahr nur mit Abgabe einer Unterlassungserklärung widerlegt werden könne. Doch im vorliegenden Fall sei dies nicht notwendig, weil alle Unterlagen, die den streitgegenständlichen Inhalt aufweisen, aus den Seminarpapieren entfernt wurden und im Prozess eine mündliche Erklärung abgegeben wurde, nach welcher der Jahresabschluss der Klägerin nicht mehr Gegenstand von Vorträgen sein wird, weil das Geschäftsmodell ohnehin nicht als Fallstudie für die Seminarreihe geeignet ist. Es sieht ferner weder einen Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht noch in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Betrieb, welches im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB entwickelt wurde.
Das Unternehmen der Klägerin genieße keinen Schutz vor Verbreitungen durch Dritte, da sie gem. § 325 HGB gesetzlich sogar zur nicht anonymisierten Veröffentlichung ihrer Jahresabschlüsse im Bundesanzeiger verpflichtet ist und sich mit Erfüllung ihrer Pflicht konkludent bereit erklärt, dass ihre Bilanzen analysiert und kritisiert werden.
Der BGH hat die Revision nur teilweise nicht angenommen und entschied im Übrigen zugunsten der Klägerin. Begründend wird ausgeführt, dass die Klägerin sich sehr wohl auf ihr Persönlichkeitsrecht berufen könne, obgleich juristische Personen nur begrenzten Schutz genießen. Es erachtet den Schutzbereich als eröffnet und bestätigt einen Eingriff bzw. eine Verletzungshandlung durch den Beklagten, weil die Klägerin in ihrem „sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen“ sei und der Beklagte sie finanziell bloßgestellt habe (BGH, 08.02.1994, VI ZR 286/93; vgl. auch BGH, 03.06.1986, VI ZR 102/85)
Anders als die Berufungsinstanz entscheidet der BGH, dass die vorangegangene nicht anonymisierte Veröffentlichung im Bundesanzeiger nicht zulasten der Klägerin ausfallen dürfe, da ein intentionaler Unterschied zwischen den streitgegenständlichen Darstellungen und der einfachen gesetzmäßigen Veröffentlichung besteht. Während der Seminare wird den Teilnehmern beigebracht, besonders kritisch über die finanzielle Lage zu urteilen. Jeder einzelne Teilnehmer wirkt für sich als Multiplikator, weshalb der Adressatenkreis auch nicht so klein eingeschätzt werden kann wie die Vorinstanzen das getan haben. Zudem ist die Analyse des Jahresabschlusses der Klägerin Teil des eigenen wirtschaftlichen Vorteils auf Seiten des Beklagten. Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger hingegen hat einen rein präventiven Grund, nämlich Marktteilnehmer vor möglichen Fehlinvestitionen oder dergleichen zu schützen. Der BGH nimmt eine Interessensabwägung zwischen dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht und der Wirtschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG vor. In der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiegt das Persönlichkeitsrecht, da der Beklagte ohne Weiteres zur Verfolgung seiner wirtschaftlichen Ziele ein milderes Mittel hätte wählen können, mithin war sein Vorgehen nicht erforderlich. Dem Beklagten wäre es zumutbar gewesen, alle Erkennungsdaten zu anonymisieren, ohne dass seine Präsentationen an Inhalt verloren hätten.
Der BGH stellt eine Wiederholungsgefahr fest und widerspricht dem OLG, indem er erklärt, dass es sich vorliegend nicht um eine Sondersituation handele, in welcher der Eingriff in die Rechte der Klägerin einmalig war beziehungsweise nur im Rahmen einer mittlerweile eingestellten Seminarreihe geschah. Es müssten höhere Anforderungen an den Ausschluss einer Wiederholungsgefahr gestellt werden. Der BGH entschied daher, dass der Proessor zur Unterlassung verpflichtet war.
Der Beklagte reichte Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein, welche jedoch gem. § 93b i.V.m. § 93a BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Das BVerfG erkannte in einer Vorprüfung keine verfassungsrechtlich zu beanstandenden Entscheidungen oder Auslegungsfehler seitens des BGH.
8. BGH-Entscheidung „Hotelbewertungsportal“
Für Unternehmen ist die BGH-Entscheidung „Hotelbewertungsportal“ äußerst praxisrelevant, da diese sich zunehmend mit negativen Online-Bewertungen konfrontiert sehen.
Dieser Fall durchlief zunächst das Landgericht Berlin, wo die Klage als unbegründet zurückgewiesen wurde (LG Berlin, Urteil vom 21.10.2010, Az.: 52 O 229/10). Die Klägerin legte daraufhin Berufung vor dem Kammergericht Berlin ein und blieb wieder ohne Erfolg (KG, Urteil vom 15.07. 2011, Az.: 5 U 193/10). Der BGH wies die darauffolgende Revision ebenfalls als unbegründet zurück (BGH, Urteil vom 19. 03. 2015, Az.: I ZR 94/13).
Die Problematik dreht sich um die aufgeworfene Frage, inwiefern der Host-Provider, also der Portalberetiber, für Inhalte, die auf seinem Portal veröffentlicht wurden, in die Haftung genommen werden kann. Die Klägerin betreibt ein Hotel in Berlin und richtet sich in ihrer Klage gegen den Host-Provider eines Hotelbewertungsportals. Die Betreiberin des Portals ist zugleich Geschäftsführerin eines Online-Reiseunternehmens und nutzt jenes Portal als Möglichkeit, Werbung für ihr Reiseunternehmen zu machen. Internetnutzer können dort Bewertungen über Hotels verfassen und für andere sichtbar veröffentlichen sowie die Einrichtungen auf einer Skala mit Schulnoten bewerten. – Alles anonym.
Durch die Anonymität sinkt die Hemmschwelle der Bewertenden, weshalb eine Wortfiltersoftware benutzt wird, um Formalbeleidigungen und Schmähkritik weitestgehend vorzubeugen. Bei Auffälligkeiten bewerten Mitarbeiter der Beklagten den Inhalt und schalten ihn gegebenenfalls manuell frei. Aus den Schulnoten wird ein Durchschnittswert ermittelt, der für Weiterempfehlungen verwendet wird.
Die Klägerin musste feststellen, dass von einem anonymen Nutzer unwahre Tatsachenbehauptungen über ihre Einrichtung veröffentlicht wurden, die rufschädigenden Charakter haben. So wird sich beispielsweise abwertend über die Qualität von Bettmatratze und Fernseher sowie über die Sauberkeit geäußert. Aufgrund der Anonymität konnte sich die Klägerin nicht direkt an den Bewertenden richten. Wie oben jedoch erwähnt, kann der Betroffene sich an den Host-Provider wenden. Die Beklagte hat auch nach einer Abmahnung der Klägerin den streitgegenständlichen Beitrag umgehend gelöscht. Doch die strafbewehrte Unterlassungserklärung hat sie nicht unterschrieben, weshalb die Betroffene Klage auf Unterlassung einreichte.
Der BGH entwickelte zu seinen Entscheidungsgründen drei Leitsätze. Zum einen stehen beide Parteien im Wettbewerb zueinander, da das Werben auf der Bewertungsseite für das Reisebüro eine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG darstellt und zudem positiv für die eine Partei zu bewerten ist. Im Zusammenhang mit der negativen Bewertung für die Klägerin entsteht eine einseitig wettbewerbsfördernde Wechselwirkung, die wiederum die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG begründet (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10.04.2014, Az.: I ZR 43/13).
Des Weiteren stellen das Einsetzen einer Wortfilter-Software und die ggf. nachfolgende inhaltliche Prüfung sowie die manuelle Freischaltung von Beiträgen Dritter kein Zu-Eigen-Machung des Inhalts dar. Es fehlt an der dafür erforderlichen inhaltlichen Einflussnahme in Form von inhaltlich-redaktioneller Kontrolle bzw. an der offenkundigen Identifizierung der Beklagten mit dem Inhalt, eventuell sogar durch eine Erklärung, nach der sie die Verantwortung dafür übernimmt. Vorliegend ist sogar das Gegenteil der Fall: Die Beklagte erklärt in ihren Nutzungsbedingungen, dass sie ausdrücklich keine Verantwortung für die geposteten Inhalte übernimmt. Aber Achtung! Der BGH hat bereits in einem Urteil von 1958 entschieden, dass eine solche Klausel nicht die Möglichkeit ausschließt, sich rechtlich gesehen die Behauptungen zu Eigen zu machen, wenn diese Intention den allgemeinen Umständen nach klar erkennbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.04.1958, Az.: I ZR 97/57). Die Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Der dritte Leitsatz beschäftigt sich damit, dass die Klägerin der Beklagten die Verbreitung der streitgegenständlichen Inhalte vorwirft. Eine Verbreitung im Sinne von § 4 Nr. 2 S. 1 Alt. 2 UWG liegt nicht in der Zugänglichmachung von Bewertungen vor, da der Host-Provider dabei nicht seine passive bzw. neutrale Stellung aufgibt. Die Wortfiltersoftware, die statistische Auswertung und Weiterverwertung für Empfehlungen stellen keine aktiven Aktionen im Hinblick auf den Inhalt dar. Somit verletzt die Beklagte ihre Wettbewerbspflicht nicht. Die Prüfungspflicht eines Host-Providers verletzt dieser erst dann, wenn er nach Kenntniserlangung über die Rechtswidrigkeit die betreffende Bewertung nicht sofort sperrt und auch dafür sorgt, dass derlei Verstöße künftig möglichst unterbleiben. Der BGH betont dabei, dass eine verpflichtende Vorabprüfung jeder einzelnen Bewertung unverhältnismäßig wäre, da sie finanziell nicht zumutbar sei und der Provider sich auf die Haftungsbeschränkungen aus §§ 10 S. 1, 7 Abs. 2 TMG berufen kann. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte gar nicht auf Unterlassung in Haftung genommen werden kann, womit die Revision in ihrer Gesamtheit als unbegründet zurückzuweisen war.
(Anmerkung: Das TMG ist im Mai 2024 außer Kraft getreten. Die Regelungen sind aber zu großen Teilen durch das Nachfolgegesetz – das Digitale-Dienste-Gesetz weitergeführt worden. Entsprechende Haftungsbeschränkungen gibt es auch nach neuer Rechtslage.)
9. BVerfG: „Soldaten sind Mörder“
Unter dem Titel „Soldaten sind Mörder“ wurden vier Verfassungsbeschwerden zusammengefasst, denen im Kern die gleichen Sachverhalte zugrunde liegen und anhand derer das BVerfG in seiner Entscheidung vom 10. Oktober 1995 prägende Leitsätze vor allem in Bezug auf sogenannte Kollektivbeleidigungen formulierte.
Der Beschwerdeführer zu 1) hatte 1988 als Student und anerkannter Kriegsdienstverweigerer als Reaktion auf das NATO-Manöver „Certain Challenge“ und auf die Stationierung von amerikanischen Kettenfahrzeugen ein Betttuch mit dem Schriftzug „A SOLDIER IS A MURDER“ an einer Straßenkreuzung befestigt. Das zuständige Amtsgericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung gem. § 185 StGB. Die Begründung stützte sich auf die Behauptung, dass der Angeklagte lediglich mangelnde Englischkenntnisse besitzt und seine Intention darin lag, die Soldaten der Bundeswehr per Kollektivbezeichnung als Mörder (engl.: „murderer“) zu beleidigen. Das AG stützte sich dabei auf die Rechtsprechung des BGH, nach welcher eine Beleidigung eines derart großen Kollektivs nur dann möglich wäre, wenn man, wie vorliegend, auch den „engeren, klar abgrenzbaren und überschaubaren Kreis der aktiven Soldaten der Bundeswehr mit umfasse“ (vgl. BGHSt 36, 83). Der Schriftzug wurde als herabwürdigendes Werturteil erkannt, das die Ehre des Strafantragstellers, ein Bundeswehr-Oberstleutnant, vorsätzlich angreift, indem es ihn und somit alle Bundeswehr-Soldaten als Schwerstkriminelle darstellt. Das Gericht erkannte auch keine Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB an, da der Angeklagte zu einem weniger in das Grundrecht Dritter eingreifenden Mittel hätte greifen können, um seinen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen. Denkbares Beispiel wäre laut Bayerischem Justizministerium der Spruch: „Krieg ist Mord“, (AG Ansbach, Urteil vom 11. September 1989, Az.: Ds 5 Js 7751/88).
Das Landgericht hat die Berufung verworfen. Im Gegensatz zur Vorinstanz ging das LG davon aus, dass der Angeklagte bewusst den Grammatikfehler eingebaut hatte, um durch die englische Bezeichnung für „Mord“ sowohl auf die aktive als auch auf die passive Rolle der Soldaten hinzuweisen. Das Wortspiel sei aber vorsätzlich so gewählt worden, dass Deutsche mit wenig oder keinen Englischkenntnissen die Parallele zum deutschen „Mörder“ ziehen. Der Angeklagte richte sich dabei nicht nur gegen den Beruf, sondern auch gegen die Soldaten selbst. Das Landgericht geht ebenfalls von einer Kollektivbeleidigung aus (LG Ansbach, 17. Juli 1990, Az.: 2 Ns 5 Js 7751/88).
Nachdem das Bayerische Oberlandesgericht die Revision verworfen hatte (BayObLG, Urteil vom 20. August 1991, Az.: RReg. 2 St 10/91), legte der Verurteilte Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG gegen alle vorangegangenen Urteile ein. Er sah sich in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. S. 1 GG verletzt, da er mit seiner Protestaktion einen Denkanstoß zur öffentlichen Diskussion geben wollte. Die Adressaten der Aktion waren auch nicht die Bundeswehr, sondern das US-Militär gewesen, zumal er das Banner als Reaktion auf die US-Panzer aufgehängt hatte. Des Weiteren habe er nicht die strafrechtliche Fachterminologie verwendet, sondern lediglich kein umgangssprachliches Äquivalent zu „Mörder“ gefunden (BVerfG, Az.: 1 BvR 1476/91).
Der Beschwerdeführer zu 2) hatte 1989 als anerkannter Kriegsdienstverweigerer auf eine Karikaturen-Kunstausstellung der Bundeswehr in einer Berufsschule mit einem selbst verfassten Flugblatt reagiert. Er verteilte vor Ort sein Pamphlet, welches in Auszügen die Äußerungen „Sind Soldaten potentielle Mörder? (…) Soldaten werden zu Mördern ausgebildet. (…) Das ist Soldatenhandwerk. Weltweit. Auch bei der Bundeswehr. (…) Militarismus tötet. (…)“ enthielt. Es wurde daraufhin Strafantrag durch einen Soldaten der Bundeswehr und durch das Bundesverteidigungsministerium gestellt. Das zuständige Amtsgericht verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung. Begründend führte es aus, der Angeklagte würde unterstellen, dass jeder mit abgeschlossener Soldatenausbildung ein Mörder sei. Es befand die vom Angeklagten vorgetragene Intention, eine allgemeine Missbilligung bzw. moralische Verurteilung von Krieg zum Ausdruck bringen zu wollen, als unerheblich. Es sei nämlich auf das Verständnis des Durchschnittsbürgers abzustellen, welcher auf das Flugblatt hin denken würde, dass es Ziel der Ausbildung sei, Morde zu verüben. Bei der Verwendung des Wortes „Mörder“ wird dem Angeklagten unterstellt, er kenne die juristische Bedeutung nach § 211 StGB. Auch hier befand das Gericht, dass er ein milderes Mittel hätte wählen können, welches weniger in die Grundrechte Dritter eingreifen und dabei denselben Effekt erreichen würde (AG Landsberg, Urteil vom 23. August 1990, Az.: 3 Ds 101 Js 535/89).
Das Landgericht hat die Berufung verworfen, jedoch auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Strafmaß erhöht. Es schließt vorausgreifend einen Verbotsirrtum aus, da ihm als Kriegsdienstverweigerer unterstellt wird, um die Illegalität von Schmähkritik und deren Grenzen zu wissen. Es stützt sich bei der Einschätzung der streitgegenständlichen Äußerungen auf die Rechtsprechung des BVerfG, nach welchem die Grenze zur Schmähkritik überschritten ist, wenn im „im Vordergrund der herabsetzenden Äußerung nicht mehr die Sache selbst, sondern die Herabsetzung und Diffamierung von Personen steht“ (vgl. BVerfG NJW 2003, 1109). Es schließt weiter die Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB aus, da es dem Angeklagten zugemutet hätte werden können, eine andere, angemessenere Formulierung zu wählen, die keinen Substanzverlust vorweist (LG Augsburg, Urteil vom 03. Juli 1991, Az.: 6 Ns 101 Js 535/89).
Nachdem auch hier das Bayerische Oberlandesgericht die Revision verworfen hat (BayObLG, Urteil vom 03. Dezember 1991, Az.: RReg. S St 166/91), legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein. Er rügte darin die Verletzung seines Rechts aus Art. 5 Abs. S. 1 GG sowie den Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG. Letzterer richtet sich gegen § 185, welcher wegen ungenügender Bestimmtheit laut Beschwerdeführer nicht verfassungskonform sei. So liegt für den Begriff der Beleidigung keine Legaldefinition vor, was wiederum zur Willkür der Gerichte einladen würde. Der Beschwerdeführer rügt außerdem, dass seine Äußerungen nur einseitig und zu seinem Nachteil gedeutet wurden, obwohl offensichtlich weitere Deutungsalternativen bestanden. Ihm werde fälschlicherweise unterstellt, „Mord“ im strafrechtlichen Sinne gemeint zu haben; er habe lediglich auf die moralische Verwerflichkeit von Militäreinsätzen mit Todesfolge hinweisen wollen. Handlungsalternativen hätten ihm darüber hinaus nicht zur Verfügung gestanden, ohne dass seine pazifistische Nachricht an Substanz verloren hätte. Diese sei ganz klar ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung und somit durch § 193 StGB geschützt (BVerfG, Az.: 1 BvR 1980/91).
Der Beschwerdeführer zu 3) hatte im November 1989 einen Leserbrief an eine Zeitung verfasst, nachdem diese über den Freispruch des Dr. A, einem ehemaligen Sanitätsoffiziersanwärter der Bundeswehr, im „Frankfurter Soldatenprozess“ berichtet hatte. Damals hatte der Dr. A einem Bundeswehr-Soldaten gegenüber erklärt: „Alle Soldaten sind Mörder – auch Sie.“. Der Titel des Leserbriefs lautete: „Ich erkläre mich solidarisch – Zu: Freispruch im Soldatenprozess“ und enthielt auszugsweise folgende Formulierungen: „(…) Sagte ich Mord? Natürlich Mord. „Soldaten sind Mörder“. (…) Die Entscheidung für eine militärische `Verteidigung`, für eine Armee, schließt immer die Bereitschaft zum Krieg, zum staatlich legitimierten Massenmord mit ein. (…) Ich erkläre mich in vollem Umfang mit Herrn A. solidarisch und erkläre hiermit öffentlich: „Alle Soldaten sind Mörder!““. Auf Strafantrag erließ das zuständige Amtsgericht Strafbefehl wegen Beleidigung, wogegen der Beschwerdeführer Einspruch einlegte und zur Geldstrafe verurteilt wurde. Das Landgericht verwarf die Berufung als unbegründet. Es führt begründend aus, dass der Verurteilte um die Ehrverletzung in seinen Äußerungen gewusst habe, zumal die Zeugen des Soldatenprozesses sich persönlich in ihrer Ehre verletzt sahen. Der Beschwerdeführer erklärte zwar, dass er alle Soldaten der Welt gemeint habe, doch das LG berief sich auf seine Solidaritätsbekundung zu Dr. A, der seinerseits die Bundeswehr in seiner Kritik miteinschloss. Das LG schließt weiter die Wahrnehmung berechtigter Interessen aus, indem es den streitgegenständlichen Leserbrief als Schmähkritik einordnete (LG Mainz, Urteil vom 23. Mai 1991, Az.: 302 Js 22189/89 – 3 Ns).
Nachdem auch hier das zuständige Oberlandesgericht die Revision als unbegründet verworfen hatte (OLG Koblenz, Urteil vom 09. Dezember 1991, Az.: 2 Ss 303/91), legte der Verurteilte Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein wegen Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass er sich nicht auf die Bundeswehr-Soldaten bezogen hatte, sondern auf alle der ganzen Welt. Er hatte sich in seinem Leserbrief per Zitat auf Kurt Tucholsky bezogen, welcher damals in seiner berühmten Aussage „Soldaten sind Mörder“ Bezug auf alle Soldaten der Armeen aus dem Ersten Weltkrieg genommen hatte (BVerfG, Az.: 1 BvR 102/92).
Die Beschwerdeführerin zu 4) hatte im November 1989 auf einer Motorradausstellung vor dem Infostand der Bundeswehr ein Transparent hochgehalten, welches den Schriftzug „Soldaten sind potentielle MÖRDER“ trug. Dazu wurden Flugblätter verteilt, auf denen kritisiert wurde, wie die Bundeswehr die blutige Wahrheit über den Krieg verschweige und stattdessen mit technischen Errungenschaften werbe. Auf Strafantrag hin erließ das zuständige Amtsgericht Strafbefehl, die Beschwerdeführerin legte Einspruch ein und wurde zu Geldstrafe wegen gemeinschaftlicher Beleidigung verurteilt. Es hat die Wahrnehmung berechtigter Interessen ausgeschlossen, da ein angemesseneres, milderes Mittel hätte gewählt werden können. Die Art und Weise sowie der „unpassende“ Ort sprächen gegen einen Beitrag zum öffentlichen Meinungsstreit (AG München, Urteil vom 21. September 1990, Az.: 473 Cs 115 Js 4834/89).
Das Landgericht hatte die Berufung verworfen, da es in der gesamten Aktion und den Äußerungen Schmähkritik erkannte, wobei es sich auf die Definition des BVerfG stützte (s.o.). Auf den Einwand der Verurteilten, dass es sich bei dem Wort „Mörder“ um eine umgangssprachliche Verwendung handelte, entgegnete das LG, dass auch der unvoreingenommene Durchschnittsbürger damit besonders verwerfliches Töten verbinde, was wiederum bei Verteidigungsmaßnahmen der Bundeswehr nicht der Fall sei. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen scheitert auch hier an der Angemessenheitsprüfung (LG München, Urteil vom 07. Juni 1991m Az.: 25 Ns 115 Js 4834/89).
Auch hier hatte das Bayerische Oberlandesgericht die Revision verworfen (BayObLG, Urteil vom 03. Januar 1992, Az.: RReg. 3 St 186/91), woraufhin die Verurteilte Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG wegen Verletzung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und auf freie Entfaltung aus Art. 2 Abs. 1 GG. Sie trägt vor, dass man in zwei Ansätzen an die Äußerung herangehen könne. Zum einen ließe es sich als Tatsachenbehauptung einordnen und zum anderen als Werturteil. Bei erster Variante sei ihre Behauptung wahr und keine Schmähkritik, weshalb die vorangegangenen Urteile sie in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen würden. Sie begründet dies mit den Mordmerkmalen, welche u.a. „grausam“, „heimtückisch“ und „mit gemeingefährlichen Mitteln“ heißen. Diese wiederum träfen alle auf das Töten im Krieg zu.
Werden ihre Äußerungen allerdings als Werturteil ausgelegt, werde ihr zu Unrecht unterstellt, sich nicht mehr auf die Sache selbst zu beziehen. Sie führt unterstützend aus, dass ihr in der Strafmessung zugestanden wurde, sie sei eine Überzeugungstäterin und nicht „von unehrenhaften Motiven geleitet“; womit die Unterstellung der Schmähkritik einen Widerspruch darstellt (BVerfG, Az.: 1 BvR 221/92).
Das BVerfG befand alle vier Verfassungsbeschwerden für zulässig und begründet.
Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist in allen Fällen eröffnet, denn es handeln sich um Urteile bzw. subjektive Darstellungen. Dabei ist es einerlei, ob es sich um rationale, emotionale, begründete oder unbegründete, wertvolle oder wertlose, nützliche oder schädliche Äußerungen handelt, die auch polemisch und verletzend sein können. Es ist weiter egal, an welchem Ort oder zu welcher Zeit die Meinungen verbreitet wurden, denn auch diese Freiheit ist von Art. 5 GG umfasst. Die Beschwerdeführer urteilen über Soldaten in Ausübung ihres Berufes, wobei es sich nicht, wie von der Beschwerdeführerin zu 4) als eine Auslegungsvariante vorgetragen, um Tatsachenbehauptungen handelt. Das BVerfG bestätigt einen Eingriff in die Meinungsfreiheit durch sämtliche vorinstanzliche Urteile und Entscheidungen. Allerdings prüft es § 185 StGB als in Art. 5 Abs. 2 GG normierte Schranke in Form eines allgemeinen Gesetzes. Schranken dienen der Begrenzung von Grundrechten. Der Beschwerdeführer zu 2) hatte die Verfassungsmäßigkeit von § 185 StGB wegen Unbestimmtheit angezweifelt. Das BVerfG widerspricht dem jedoch, indem es ausführt, dass der Begriff der „Beleidigung“ durch die Rechtsprechung über mehrere Dekaden hinweg einen „hinreichend klaren Inhalt“ erhalten habe und somit „ausreichende Vorgaben für die Anwendung“ durch die Gerichte enthalte. Außerdem ist § 185 mit Art. 5 GG insofern vereinbar, als dass gem. § 194 Abs. 3 StGB auch öffentliche Behörden, worunter die Bundeswehr zu zählen ist, von § 185 StGB geschützt werden. Doch auch die Schranke kann ihrerseits eingegrenzt werden. Diese sogenannte „Schranken-Schranke“ ist vorliegend § 193 StGB, wonach eine Bestrafung wegen Beleidigung ausgeschlossen ist, wenn die streitgegenständliche Äußerung in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt ist. Das BVerfG nahm eine Güterabwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem kollidierenden Rechtsgut vor, wobei beurteilt werden musste, ob es sich bei den Äußerungen um eine Form der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.v. § 193 StGB handelt. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass die Meinungsfreiheit in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung einen hohen Rang einnehme, da diese eine wichtige Möglichkeit der Machtkritik biete. In Bezug auf das Verhältnis von Art. 5 GG zu anderen Grundrechten wurden in der Vergangenheit Grundsätze entwickelt: Die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG geht immer vor, da sie schon dem Wortlaut nach nicht abwägungsfähig ist. Der Ehrenschutz geht immer dann vor, wenn die herabsetzende Äußerung eine Formalbeleidigung oder/und Schmähkritik enthält. An diesem Punkt liegt die Schwierigkeit im Persönlichkeitsrecht: Handelt es sich nun um eine Schmähung oder nicht? – Um eine völlige Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu verhindern, wird der Begriff der „Schmähung“ sehr eng definiert. Eine überzogen scharfe Kritik, gar Polemik, reicht nicht aus. Vielmehr muss im Vordergrund nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person stehen (siehe oben). Ein weiterer Grundsatz besagt, dass die Meinungsfreiheit grundsätzlich vorgeht, wenn es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung handelt, was wiederum ein berechtigtes Interesse darstellt.
Zusammenfassend muss also der wahre Sinngehalt hinter den streitgegenständlichen Äußerungen erfasst werden, um unzulässige Beschränkungen von eigentlich zulässigen Äußerungen zu vermeiden. Bei der Deutung kommt es nicht auf die subjektive Absicht des Äußernden an, sondern auf den objektiven Gehalt, der beim unvoreingenommenen und verständigen Publikum ankommt. Ein Gericht verstößt dann gegen Art. 5 GG, wenn es bei Fällen von Mehrdeutigkeit auf die Variante abstellt, die dem Angeklagten zum Nachteil gereicht, ohne dass die für ihn günstigere aus schlüssigen Gründen ausgeschlossen worden ist. Der letzte Punkt zur Auslegung von Äußerungen ist hier laut BVerfG, dass manche Begriffe in der Umgangssprache andere Bedeutung haben als in der juristischen Fachterminologie. Ein Verstoß gegen Art. 5 GG liegt also auch dann vor, wenn das Gericht von der Fachterminologie ausgeht, obwohl die Äußerung in einem umgangssprachlichen Kontext gefallen ist.
Konkret auf die vier Verfassungsbeschwerden bezogen bedeutet das: Die Bezeichnung von Soldaten als Mördern stellt eine Ehrverletzung dar. Die Gerichte haben jedoch den Sinn hinter den streitgegenständlichen Äußerungen verkannt. Nicht die Soldaten der Bundeswehr sind ausschließlich gemeint, sondern alle Soldaten der Welt. Dass in dem längeren sprachlichen Kontext in den Fällen der Beschwerdeführer zu 3) und 4) die Bundeswehr vereinzelt erwähnt wird, sei darauf zurückzuführen, dass sichergestellt werden sollte, dass die Gemeinschaft aller Soldaten auch die der Bundeswehr mit umfasse. Der Begriff des „Mörders“ muss auch nicht die persönliche Charakterschwäche einzelner Soldaten beschreiben, sondern könne auch darauf aufmerksam machen, dass das Töten im Krieg kein unpersönlicher Akt ist, sondern von Menschenhand erfolgt. Dabei wird Bezug auf die Sache an sich genommen, um potentielle Rekruten dazu zu bewegen, den Kriegsdienst zu verweigern. Damit schließt das BVerfG Schmähung in allen vier Fällen aus.
Weiter stellt das BVerfG fest, dass die Möglichkeit von Kollektivbeleidigungen besteht, da die persönliche Ehre oft nicht losgelöst von kollektiven Bezügen betrachten lässt. – Das treffe auf Soldaten ganz besonders zu, wobei das BVerfG betont, dass deshalb deren Ehre keineswegs schutzwürdiger sei als die der zivilen Bevölkerung. Die Voraussetzung für Kollektivbeleidigung ist jedoch maßgeblich, dass es sich bei den Betroffenen um ein überschaubares und klar abgrenzbares Kollektiv handeln muss. Beispielsweise könne man nicht alle Glaubensangehörige einer Weltreligion beleidigen, denn je größer das Kollektiv ist, desto schwächer ist die persönliche Betroffenheit. Die Bundeswehr ist problemlos unter ein solches überschaubares Kollektiv zu subsumieren, allerdings beziehen sich alle vier Beschwerdeführer auf sämtliche Soldaten der Welt, welche wiederum kein solches Kollektiv darstellen.
Die in allen vier Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen wurden durch das BVerfG aufgehoben und an die jeweiligen Gerichte zurückverwiesen. Gründe: Es wurden die Bedeutung und Tragweite von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verkannt, es wurden keine Güterabwägungen zwischen Ehrenschutz und Meinungsfreiheit durchgeführt, weil die Äußerungen als Schmähkritik abgetan wurden und alternative Deutungsmöglichkeiten wurden ebenfalls nicht erörtert.
10. „IM-Sekretär Stolpe“, Beschluss des BVerfG
Der Beschwerdeführer in der „IM-Sekretär Stolpe“-Entscheidung des BVerfG, Manfred Stolpe, waltete in der DDR seit 1982 das Amt des Konsistorialpräsidenten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und war zudem stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Ab der Wende war er bis 2002 Ministerpräsident des Landes Brandenburg.
Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, hatte in einer Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens ein Interview abgegeben, in welchem er behauptete, dass Herr Stolpe inoffizieller Mitarbeiter der damaligen Staatssicherheit war. Manfred Stolpe selbst hatte in der Vergangenheit Kontakte zur Staatssicherheit bestätigt; diese habe er aber ausschließlich zum Vorteil seiner Gemeinden ausgenutzt. Unstreitig existiert eine IM-Akte, die Herrn Stolpe als einen inoffiziellen Informanten führt; allerdings fehlt ein rechtskräftiges Dokument, welches ein Dienstverhältnis zwischen ihm und der Staatssicherheit bestätigt.
Das Landgericht Potsdam wies 1996 die Klage auf Unterlassung ab, da die Äußerung durch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt sei (LG Potsdam, Entscheidung vom 14.11.1996, Az.: 3 O 438/96)
Daraufhin zog Herr Stolpe vor das OLG Brandenburg, wo das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und ein Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. §§ 186, 187 StGB zugesprochen wurde. Die streitgegenständliche Aussage würde Herrn Stolpe herabwürdigen und ihn in seiner politischen Stellung angreifbar machen. Nach der Beweisregel des § 823 Abs. 2 BGB müsse die Behauptung dem Beweis zugänglich sein. Aus Mangeln an jenen Beweisen könne nicht mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden, ob Herr Stolpe in seiner Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit „zu weit gegangen“, aber dennoch ein „Mann der Kirche“ geblieben sei oder ob er vielmehr die „Seiten gewechselt“ habe (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 18.06.1997, Az.: 1 U 33/96).
Der Beklagte legte 1998 Revision vor dem BGH ein. Dort wurde das Urteil des OLG Brandenburg aufgehoben. In der Begründung stützte sich der BGH auf die Mehrdeutigkeit der streitgegenständlichen Aussage, wonach nicht nur die Behauptung der Äußerung zu entnehmen sei, dass Herr Stolpe beim Ministerium für Staatssicherheit angestellt war. Sie ließe auch die Vermutung zu, dass er nur wie ein Beauftragter gehandelt habe, der Informationen über Dritte im Wissen über deren Nützlichkeit weitergetragen hat. Nach Auffassung des BGH sei die letztere Auslegung vorzugswürdig, da sie den Kläger weniger beeinträchtigen würde und so für den Beklagten günstiger wäre. Nichtsdestotrotz macht auch die letztere Auslegung den Ministerpräsidenten des demokratischen Brandenburgs politisch angreifbar. Auch ist sie dem Beweis zugänglich. Da die streitgegenständliche Aussage jedoch eine die „Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit“ betreffe, überwiege in einer Güterabwägung die Meinungsäußerungsfreiheit, da der Beklagte sie zur „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ getätigt habe. Demnach dürfe sich die Nichterweislichkeit des Wahrheitsgehalts nicht zulasten des Beklagten auswirken (BGH, Urteil vom 16.06.1998, Az.: VI ZR 205/97).
Sich durch das Urteil des BGH in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sehend, legte Stolpe Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Dieses entschied, dass er in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1GG verletzt wurde und verwies die Angelegenheit an die ordentliche Gerichtsbarkeit zurück. Das BVerfG stellte fest, dass der BGH die Klage auf Unterlassung lediglich auf die in der Vergangenheit liegende Aussage bezog. Da es bei einer Unterlassungsklage jedoch maßgeblich um künftiges Handeln gehe, sei die Mehrdeutigkeit irrelevant. Das BVerfG rügt jedoch, dass, abgesehen von der Relevanz der Mehrdeutigkeit, von der für den Betroffenen ungünstigeren Variante hätte ausgegangen werden müssen. In der Zukunft könne der Beklagte nämlich noch eindeutige Aussagen tätigen, die den Kläger gravierend in seinen Grundrechten verletzen können. Ein Einschüchterungseffekt sei zudem im vorliegenden Fall nicht zu erwarten. Weiter müsse der Kläger die Behauptungen nicht lediglich aus dem Grund des öffentlichen Interesses hinnehmen, ohne dass Beweise zugrunde liegen. Das BVerfG geht davon aus, dass der sich äußernde Rechtsanwalt nicht genügend seiner Beweispflicht nachgekommen sei, da allein die Behauptung, dass tiefergehende Nachforschungen aufgrund einer fehlenden „Stasi-Akte“ nicht möglich seien, nicht ausreiche. Er hätte vielmehr Fakten darlegen müssen, die nicht den der Öffentlichkeit bereits bekannten Indizien entsprechen. Da es daran jedoch mangelt, müsse eindeutig auf fehlende Nachweise und die sich daraus ergebende bloße Vermutung hinter der Aussage hingewiesen werden (BVerfG, Beschluss v. 25.10.2005, Az.: 1 BvR 1696/98).
11. „Babycaust-Entscheidung“ des BVerfG
Der „Babycaust-Entscheidung“ des BVerfG lagen zwei Verfassungsbeschwerden zu Grunde, die den gleichen Sachverhalt betrafen.
Zwei radikale Abtreibungsgegner betreiben zum Zwecke der Verbreitung ihrer Ansichten eine Homepage mit einer Liste über Ärzte, die Abtreibungen vornehmen. In der „Babycaust-Entscheidung“ des BVerfG liegt die streitgegenständliche Handlung im Verteilen von Flugblättern auf dem Gelände eines Klinikums. Diese Flugblätter sind zweiseitig; auf der Vorderseite wurde Dr. F mit dem Untertitel aufgeführt, dass es sich hierbei um einen „Tötungsspezialisten für ungeborene Kinder“ handele. Die Rückseite trägt den Text: „Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums N. Damals: Holocaust, heute: Babycaust. Wer hierzu schweigt, wird mitschuldig!“.
Gegen diese Handlungen erstatteten der betroffene Arzt sowie der Klinikträger jeweils Strafanzeige. Der Dr. F ging daneben auch zivilrechtlich wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung vor.
Dr. F hatte zunächst erfolgreich vor dem LG Nürnberg-Fürth auf Unterlassung der Verbreitung des Inhalts der Flugblätter geklagt (LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 26.05.1999, Az.: 2 Ns 407 Js 44671/97).
Auf die Strafanzeigen wurden die Abtreibungsgegner von dem LG Nürnberg in 2. Instanz wegen Beleidigung zu Lasten der Klinikträgerin sowie zu Lasten des Dr. F. verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision wurde als unbegründet verworfen.
Gegen das zivilrechtliche Urteil legten die Beklagten Berufung vor dem OLG Nürnberg ein. Dieses sah in der Bezeichnung des Klägers als „Tötungsspezialist für ungeborene Kinder“ eine wahre Tatsachenbehauptung und in der Formulierung „Kinder-Mord im Mutterschoß“ eine wertende Meinungsäußerung. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf der Mehrdeutigkeit des Wortes „Mord“: Zum einen ist darunter der rechtstechnische Begriff zu verstehen; zum anderen könne man darin eine umgangssprachliche Bezeichnung legaler Tötung Ungeborener unter besonderer Hervorhebung ihrer Verwerflichkeit sehen.
Das OLG Nürnberg kommt zunächst zu dem Schluss, man müsse die für die Beklagten günstigere Auslegung vorziehen, die ja letztlich auch der Kläger weniger betroffen mache. Im Zuge der Güterabwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit wurde zugunsten der Beklagten entschieden und das erstinstanzliche Urteil aufgehoben.
Zu dem Vergleich zwischen dem Holocaust und dem Babycaust bezog sich das OLG auf ein Urteil des BGH (zwischenzeitlich aufgehoben), nach welchem keine Gleichsetzung zu dem geschichtlichen Ereignis vorliege, da es dem Beklagten lediglich darum ging, in besonders provokanter Weise auf das vermeintliche Problem hinzuweisen. Die zur politischen Willensbildung gebildete Formulierung unterstehe ob der Offenkundigkeit der eigentlichen Botschaft dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2000, Az.: VI ZR 276/99) und überwiege folglich gegenüber der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Kläger (OLG Nürnberg, Urteil vom 28.09.2000, Az.: 8 U 977/99).
Das OLG wies die Berufung daher als unbegründet zurück, woraufhin der (zivilrechtliche) Kläger als Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einlegte.
Auch erhoben die Abtreibungsgegner wegen der strafrechtlichen Verurteilungen Verfassungsbeschwerde zum BVerfG.
Der zivilrechtliche Kläger räumt als Beschwerdeführer die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Mord“ im vorliegenden Kontext zwar ein, aber rügt den Umstand, dass die Bezeichnung als Kindermorde verübender Tötungs-Spezialist nicht als Schmähkritik eingestuft wurde. Es liege eine schwerwiegende Kränkung vor, die in ihrer Form einer gezielten schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung entspräche und somit die Schwelle zur unzulässigen Schmähkritik überschreite. Auch die Benennung des Holocausts in einem Kontext mit seiner Bezeichnung als Tötungs-Spezialisten legt die Vermutung nahe, dass er ein Handlanger eines Unrechtsregimes sei, der auftragsgemäß Leben ausrottet. Ihn als „Tötungs-Spezialisten“ zu bezeichnen würde keiner Tatsachenaussage mehr entsprechen, da sie nicht mehr wertneutral vorgetragen wurde.
Das BVerfG entschied, dass die Verfassungsbeschwerde des Arztes gegen das zivilrechtliche Urteil teilweise begründet sei und die Meinungsfreiheit bei einem derartigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers zurücktreten muss. Allerdings bezieht sich das BVerfG bei der Entscheidungsfindung nicht auf die Bezeichnung als „Tötungsspezialisten“, da es keine Anhaltspunkte für Schmähkritik, Formalbeleidigung oder Beeinträchtigung der Menschenwürde gibt. Vielmehr stellt das BVerfG auf die verfassungsmäßig nicht tragfähige Bewertung von „Kinder-Mord im Mutterschoß“ als zulässiges Werturteil über die Arbeit des Dr. F ab. Insbesondere muss auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Mord“ abgestellt werden. Es sei bei der Mehrdeutigkeit von Meinungsäußerungen ebenfalls bei Prüfung des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruchs die für den Betroffenen ungünstigste Auslegung zugrunde zu legen.
Zur Abgrenzung: Beim Stolpe-Urteil lag dem Urteil des BVerfG eine Tatsachenbehauptung, keine Meinungsäußerung zugrunde. Doch in beiden Fällen ist derselbe Grundsatz anzuwenden, sofern es sich um einen Unterlassungsanspruch handelt, der auf zukünftige Verbreitungen abzielt.
Bei derartiger Auslegung fehlt es an einer tragfähigen Begründung dafür, dass die Freiheit zur Meinungsäußerung gegenüber dem Persönlichkeitsrecht Vorrang genießen soll.
Des Weiteren besteht ein Unterlassungsanspruch wegen des Vergleichs zwischen dem Holocaust und dem „Babycaust“. Die Vorinstanz hatte sich auch hier auf die Mehrdeutigkeit berufen und fälschlicherweise die für den Beklagten günstigere Auslegung vorgezogen. Die Mehrdeutigkeit liegt hier in der Gleichsetzung des „Babycaust“ mit dem nationalsozialistischen Holocaust oder in der als eigenständig dahinstehenden Massentötung menschlichen Lebens (BVerfG, Beschluss vom. 24. Mai 2006, Az.: (1 BvR 2031/00) 1 BvR 49/00).
Die Verfassungsbeschwerden der Abtreibungsgegner waren ebenfalls teilweise erfolgreich, jedoch nur soweit sie wegen einer Beleidigung auch der Klinikträgerin verurteilt worden sind. Im Übrigen waren die Verfassungsbeschwerden unbegründet.
Wegen der teilweisen Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde riefen die Abtreibungsgegner schließlich den EGMR an. Dieser bestätigte jedoch die Entscheidung des BVerfG und urteilte, dass keine Verletzung von Art. 10 EMRK vorliegt, da die dem Urteil zugrundeliegenden Äußerungen mit Art. 10 Abs. 2 EMRK eine immanente Schranke erfahren, insbesondere durch den „Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“. Ferner war der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“, besonders im Hinblick auf die deutsche Historie bezüglich des nationalsozialistischen Holocausts, nach welcher eine Erwähnung im selben Kontext einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Dr. F, mithin in „Rechte anderer“, darstellt (EGMR, Urteil vom 13.01.2011, Az.: 397/07).
12. BGH-Urteil „Der blaue Engel“
In einem Urteil zum Bildnisschutz entschied der BGH in seiner Entscheidung „Der Blaue Engel“, dass in der Abbildung eines Doppelgängers, der einer berühmten Person täuschend ähnlich sieht, ein Bildnis dieser Person zu erblicken ist. Das gleiche gilt, wenn der Eindruck, es handele sich um die berühmte Person, nicht aufgrund einer Ähnlichkeit der Gesichtszüge, sondern auf andere Weise (hier durch Nachstellen einer berühmten Szene mit Marlene Dietrich aus dem Film „Der blaue Engel“) erzeugt wird. Die Abbildung der nachgestellten Szene kann dann nur mit Einwilligung der berühmten Person und nach deren Tod in den folgenden zehn Jahren nur mit Einwilligung der Angehörigen zu Werbezwecken verwendet werden.
Die Beklagte bereibt eine Technikfirma, die Elektrogeräte, insbesondere Fotokopiergeräte, vertreibt und zu Werbezwecken 1993 in Zeitungen die streitgegenständliche Abbildung veröffentlichte. Abgebildet ist ein unbekanntes Model, die das gleiche Kostüm trägt und dieselbe Pose einnimmt wie Marlene Dietrich in zuvor genannten Szene. Der dazugehörige Werbeslogan lautet „Vom blauen Engel schwärmen genügt uns nicht“. Damit will die Werbende auf das bekannte Umweltabzeichen und die Umweltfreundlichkeit ihrer Fotokopierer hinweisen. Auf eine Abmahnung hin gab die Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, lehnte jedoch jedweden darüberhinausgehenden Anspruch ab. Daraufhin hat die Klägerin in ihrer Klage Antrag auf Verurteilung zur Auskunft über die Werbekampagne hinsichtlich des Umfangs, Adressatenkreises, Zeitpunkts und der Dauer und Kosten sowie zur Zahlung einer Lizenzvergütung zzgl. der seit Klagezustellung zu berechnenden Zinsen gestellt.
Vor dem Landgericht München erklärte die Beklagte, dass das abgebildete Model ganz andere Gesichtszüge aufweist als die Dietrich und die gesamte Kampagne sowieso eher auf den Film bzw. dessen Titel in Anlehnung an das Umweltabzeichen anspielt. Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab, weil kein vermögensrechtlicher Anspruch bei postmortalen Verletzungen am Persönlichkeitsrecht bzw. am Recht des eigenen Bildes entstehen könne. Dass grundsätzlich eine Verletzung vorliegt, wird nicht bestritten (LG München I, 03.04.1996, Az.: 21 O 19723/95).
Die Berufung wurde ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen, wobei sich das OLG München den Entscheidungsgründen der Vorinstanz anschloss (OLG München, 06.06.1997, Az.: 21 U 3710/96).
Die dagegen gerichtete Revision der Rechteinhaberin war erfolgreich, so dass die Beklagte zur Auskunftserteilung sowie zur Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr verpflichtet wurde. Der BGH stellte fest, dass das Recht am eigenen Bild der Marlene Dietrich schuldhaft verletzt wurde. Da es vorliegend nicht um ideelle Bestandteile, sondern um vermögenswerte Bestandteile dieses Rechts geht, kommt es nicht auf eine schwerwiegende Eingriffsintensität an. Auch wird der Ansicht der Beklagten nicht gefolgt, es handele sich nicht um ein Bildnis von Marlene Dietrich. Aufgrund der äußeren Erscheinung hinsichtlich der Pose und des Kostüms kann die Verstorbene von Dritten eindeutig der Werbung zugeordnet werden. Für ein Bildnis im Sinne von § 22 S. 1 KUG komme es auch nicht darauf an, welche Gesichtszüge das Double aufweist.
Des Weiteren stellt der BGH fest, dass die vermögenswerten Bestandteile vom Persönlichkeitsrecht im Gegensatz zu den ideellen Bestandteilen vererblich sind. Daher hätte die Beklagte im Vorfeld die Einwilligung der Erbin einholen müssen. Die Ausnahmeregelung aus § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, nach welcher Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte ohne Einwilligung veröffentlicht werden dürfen, greife vorliegend nicht. Marlene Dietrich sei zwar eine absolute Person der Zeitgeschichte; ausschlaggebend sei jedoch der Umstand, dass es sich nicht um eine Berichterstattung zur Befriedigung des schutzwürdigen Allgemeininteresses handele, sondern lediglich dem wirtschaftlichen Interesse der Beklagten diene.
Marlene Dietrich verstarb im Jahr 1992, mithin liegt die Verletzung innerhalb der 10-Jahresfrist gem. § 22 S. 3 KUG, welche den Erben für 10 Jahre das Recht am eigenen Bild des Verstorbenen zur kommerziellen Nutzung zusichert. Um den Schadensersatz bzw. die fiktive Lizenzgebühr berechnen zu können, steht der Klägerin der Anspruch auf Auskunftserteilung als Hilfsanspruch zu § 823 Abs. 1 BGB zu (BGH, 01.12.1999, Az.: 1 ZR 226/97).
Die Beklagte legte Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein, diese wurde jedoch gem. § 93b i.V.m. § 93a BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Der BGH habe demnach die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung nicht beachtet, indem zurechtgebogenes Richterrecht angewendet worden sein soll. Der Wille des Gesetzgebers soll umgangen worden sein, da keine postmortalen vermögensrechtlichen Ansprüche normiert wurden und demnach nicht dem Willen entsprechen können. Das BVerfG befindet die Urteile für verfassungskonform, da die Rechtsfortbildung eine Aufgabe der Fachgerichte ist und diese aufgrund veränderter Verhältnisse auch notwendig ist. Außerdem bedeute das Fehlen einer entsprechenden Norm nicht, dass das Grundgesetz einem postmortalen vermögensrechtlichen Persönlichkeitsschutz entgegensteht.
Fazit:
Das Persönlichkeitsrecht als Teilgebiet des Medien- und Verfassungsrechts ist ein Rechtsgebiet, welches durch diverse Urteile im Laufe der letzten Jahrzehnte geprägt wurde und einer stetigen Weiterentwicklung unterliegt.
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