Einstellung des Verfahrens bei Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a StGB

22. Februar 2021

Die Mutter eines dreijährigen Mädchens findet Blutspuren in der Unterhose ihrer Tochter.

Als die Mutter herausfinden will, was vorgefallen ist, erzählt das kleine Mädchen verschiedene Geschichten. In einer Variante hat die Tagesmutter die Blutungen verursacht durch das Einführen von Gegenständen und soll davon Fotos gemacht haben. Die Tagesmutter ist noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Die Mutter wendet sich an die Polizei und gegen die Tatverdächtige wird ein Strafverfahren eingeleitet.

Rechtsanwalt Grunst übernimmt die Verteidigung der Beschuldigten und beantragt zunächst Akteneinsicht. Der Rat an die Mandantin das Schweigerecht wahrzunehmen und sich nicht sofort bei der Polizei zu äußern, ist ein wichtiger Baustein der Strafverteidigung. Für die Beschuldigten ist diese Verteidigungstaktik oft schwer zu ertragen. Nach der Analyse der Ermittlungsakte zeigten sich viele Widersprüche, daher wurde die Einstellung des Verfahrens nach § 170 II StPO mangels hinreichenden Tatverdachts angeregt. Mit Erfolg. Die Staatsanwaltschaft folgt seiner Einschätzung und stellt das Verfahren schlussendlich ein.

Welche Konsequenzen kann ein Strafverfahren haben?

Ein Strafverfahren entfaltet nicht erst mit einer Verurteilung Konsequenzen für den Beschuldigten.

Bereits im ersten Stadium des Verfahrens, dem Ermittlungsverfahren, können unangenehme Folgen für den Beschuldigten entstehen, unabhängig von tatsächlich bestehender Schuld oder Unschuld.

Abgesehen von der emotionalen Belastung, stehen vor allem in derart gelagerten Fällen auch berufliche Konsequenzen im Raum.

Es heißt also möglichst schnell zu handeln und sich den Rat eines Fachanwalts für Strafrecht einzuholen.

Ziel sollte es in solchen Sexualstrafverfahren immer sein, dass es bereits zu einer Einstellung im Ermittlungsverfahren kommt. Die strafrechtlichen Nebenfolgen im Arbeitsbereich und dem sozialen Umfeld wirken oft bereits mit Beginn des Ermittlungsverfahrens. Je länger ein Verfahren dauert, desto höher sind diese Schäden auch bei positivem Ausgang.

Wann kann ein Verfahren nach § 170 II StPO eingestellt werden?

Voraussetzung für eine Anklage im Sinne des § 170 I StPO am Ende des Ermittlungsverfahrens ist das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts.

Die Staatsanwaltschaft muss nach dem aktuellen Ermittlungsstand zu dem Ergebnis kommen, dass eine Verurteilung am Ende der Hauptverhandlung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.

Liegt ein hinreichender Tatverdacht nicht vor, so ist das Strafverfahren gem. § 170 II StPO einzustellen.

Ein solcher hinreichender Tatverdacht kann beispielsweise dann nicht vorliegen, wenn …

  • (1) … eine Verurteilung aus tatsächlichen Gründen nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
  • (2) … materiellrechtliche Gründe einer Verurteilung entgegenstehen, das Verhalten des Beschuldigten also kein strafrechtlich relevantes ist.
  • (3) … nicht alle erforderlichen Prozessvoraussetzungen vorliegen bzw. Prozesshindernisse bestehen.

Vorliegend wurde das Verfahren gegen die Mandantin mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung aus tatsächlichen Gründen eingestellt.

Wird das Verfahren nach § 170 II StPO eingestellt, sind die Ermittlungen einzustellen. Dem/der Verletzten der Tat steht die Möglichkeit der Beschwerde gegen diesen Einstellungsbescheid zu. Die Staatsanwaltschaft selbst kann das Verfahren auch von sich aus jeder Zeit wiederaufnehmen, solange keine Verjährung der Straftat dem entgegensteht.

Der Zeugenbeweis im Strafverfahren

Beweise dienen im Strafverfahren der Wahrheitsfindung, der Feststellung der Schuld oder Unschuld des Beschuldigten. Eines der möglichen Beweismittel hierfür ist der Zeugenbeweis.

Zeuge ist, wer seine auf die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat bezogenen Wahrnehmungen schildern kann. Der Beschuldigte selbst kann also nicht Zeuge sein.

Der Zeugenbeweis hat jedoch seine Schwächen. So kann zwischen der Begehung der vorgeworfenen Tat und der Vernehmung des Zeugen ein langer Zeitraum verstrichen sein, sodass das Erinnerungsvermögen potentiell eingeschränkt ist.

Außerdem besteht hier die Gefahr, dass die Erinnerungen durch äußere Umstände beeinflusst werden.Zeugen können nicht nur Erwachsene sein, sondern auch Kinder können aussagefähige, glaubhafte Zeugen und somit ein Beweismittel im Strafverfahren darstellen.

Bei sehr jungen Kindern besteht hierbei jedoch eine erhöhte Gefahr der Beeinflussung durch andere Personen, insbesondere im Rahmen familiärer Vertrauensverhältnisse, also beispielsweise einer Eltern-Kind-Beziehung.

So kann es zu Situationen kommen, in denen es wirkt als wären dem Kind scheinbar die „Worte in den Mund gelegt“ worden oder es werden Fragen teilweise nicht von dem Kind selbst, sondern nur über seine Bezugsperson beantwortet.

Die Herausforderung besteht dann in der Differenzierbarkeit der Aussagen des Kindes und den Aussagen einer außenstehenden Person.

Bei sehr jungen Kindern, die als Zeugen aussagen sollen, besteht zudem die Schwierigkeit, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter und dem damit einhergehenden Entwicklungsstadium nicht oder nur schwer Realität und Fantasie voneinander trennen können. Geschichten über tatsächliche Geschehnisse werden mit fantastischen Elementen ausgeschmückt und eine klare Grenze kann weder durch das Kind selbst noch durch einen außenstehenden Erwachsenen gezogenen werden. Was wirklich geschehen ist, kann dann teilweise nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden.

Dies kann dazu führen, dass eine Zeugenaussage gegebenenfalls nicht dazu geeignet ist, ein Beweismittel zur Begründung eines hinreichenden Tatverdachts darzustellen.

So verhielt es sich auch in dem Verfahren gegen die Mandantin von Rechtsanwalt Grunst.

In diesen Konstellationen holt sich die Staatsanwaltschaft sachverständigen Rat von Experten auf dem Gebiet der Aussagepsychologie ein.

Mit dieser Begründung regte Rechtsanwalt Grunst zu Recht und mit Erfolg sowohl die Einstellung des Verfahrens nach § 170 II StPO mangels hinreichenden Tatverdachts an und bestand auf der Herausgabe der sichergestellten Gegenstände seiner Mandantin und der Löschung gespeicherter Inhalte.

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