BGH: Auch nach der „Cannabis-Legalisierung“
keine Änderung der Grenzwerte für nicht geringe Menge Gras und höhere Strafe

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Startseite » Anwalt Strafrecht » Anwalt Drogenstrafrecht » Einfluss der Menge der Betäubungsmittel auf die Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz » BGH: Auch nach der „Cannabis-Legalisierung“ keine Änderung der Grenzwerte für nicht geringe Menge Gras und höhere Strafe

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Beschluss vom 18.04.2024 (Az. 1 StR 106/24) festgesetzt, ab wann von einer „nicht geringen Menge“ Cannabis auszugehen ist, welche bei Verstößen gegen das Konsumcannabisgesetz (KCanG) strafschärfend wirkt. Trotz nunmehr geänderter Gesetzeslage bleibt es nach Auffassung des BGH bei einem Grenzwert von 7,5 g THC (Tetrahydrocannabinol).

Ausgangspunkt beim Landgericht Ulm: Verurteilung zu Freiheitsstrafen wegen Besitz und Beihilfe zum Handeltreiben mit Marihuana in nicht geringer Menge

Anlass für den Beschluss des BGH war die Revision zweier Angeklagter, die nach den Feststellungen des Landgerichts Ulm mindestens vom 24. März 2023 bis zum 24. Mai 2023 als „Gärtner“ in einer Indoor-Marihuanaplantage für eine überregional tätige Bandenorganisation tätig geworden sind.
Die Angeklagten lebten und arbeiteten in der Marihuanaplantage, die in einer Industrieimmobilie auf zwei Stockwerken errichtet und betrieben wurde. Zu den Aufgaben der Angeklagten gehörte unter anderem das Düngen und die händische Bewässerung der Pflanzkübel, die sich auf neun Pflanzräume mit etwa 690 Quadratmetern verteilten. Im Gegenzug erhielten die Angeklagten ein vereinbartes Monatsentgelt in Höhe von 1.000 € sowie freie Kost und Logis. In der Plantage waren über 1.763 Cannabispflanzen angebaut. Die sichergestellten Pflanzen wiesen 160 kg Marihuana mit 22.105g THC auf. Das Marihuana war, wie die Angeklagten auch wussten, zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.

Das Landgericht Ulm hatte die beiden Angeklagten jeweils wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dabei hat es zutreffend noch den § 29a Abs. 1 BtMG angewendet, der einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht.

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BGH: Auch nach der „Cannabis-Legalisierung“ keine Änderung der Grenzwerte für nicht geringe Menge Gras und höhere Strafe

Aufgrund der – durch das Konsumcannabisgesetz – geänderten Rechtslage, welche nunmehr einen niedrigeren Strafrahmen vorsieht, änderte der BGH das Urteil im Strafausspruch.

Das Tatgeschehen stellt sich nach der neuen Gesetzeslage als verbotener Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen (§§ 34 Abs. 1 Nr. 1c i.V.m. 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zu einem verbotenen Handeltreiben mit Cannabispflanzen (§§ 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) dar. Auch die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sind erfüllt, weil sich die strafbaren Handlungen auf eine „nicht geringe Menge“ bezogen haben.

Der BGH hat sich in dem vorliegenden Fall erstmals damit auseinandergesetzt, ab wann – nach geänderter Gesetzeslage – von einer „nicht geringen Menge“ auszugehen ist. Zwar betonte der BGH in seinem Beschluss, dass die im konkreten Fall vorliegende Menge unzweifelhaft den Grenzwert der „nicht geringen Menge“ (um das 2.939,8-fache) überschritten hatte, beschäftigte sich im Folgenden aber trotzdem mit der Festsetzung der Wertgrenze.

Im Ergebnis kommt der BGH dazu, dass das strafschärfende Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG erfüllt ist, wenn die Cannabismenge mindestens 7,5g THC aufweist und bleibt damit bei dem Grenzwert, den er schon für § 29a BtMG festgelegt hatte.

Wieso bleibt der BGH trotz Cannabisgesetz bei gleichem Grenzwert für nicht geringe Menge Marihuana?

Der Entscheidung hat der BGH folgende Erwägungen zugrunde gelegt:

Der BGH führt zunächst aus, dass die Bestimmung des Begriffs „nicht geringe Menge“ vom Gesetzgeber bewusst nicht geregelt worden ist, sondern der Rechtsprechung der Strafgerichte überlassen wurde. So ist bereits hinsichtlich der Wertgrenze im Rahmen des § 29a BtMG verfahren worden. Damit obliegt es der Rechtsprechung eine Wertgrenze zu ermitteln, ab der eine „nicht geringe Menge“ vorliegt. Dem Grenzwert von 7,5g THC steht die neue Vorschrift des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG nicht entgegen. In der Norm selbst gibt es keine Anhaltspunkte, die für eine Erhöhung des Grenzwertes sprechen. Zudem hat sich der Gesetzeszweck im Vergleich zu § 29a BtMG nicht geändert, sodass die Erhöhung des Grenzwertes aus diesem Grund nicht geboten ist. § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG soll, wie schon § 29a BtMG, dem Umstand Rechnung tragen, dass durch den illegalen Umgang mit Cannabis in einer nicht geringen Menge, dieses in einem nicht geringen Ausmaß in den Verkehr gelangt und dort auch verbliebt.

Die Gesetzesbegründung des Konsumcannabisgesetzes zeigt, dass der Gesetzgeber Verstöße gegen das Konsumcannabisgesetz zwar als weniger strafwürdig ansieht und deshalb den Strafrahmen abgesenkt hat. Diese Würdigung gibt nach dem BGH aber keinen Anlass auch die Grenzwerte anzuheben, ab welchen Verstöße gegen das Gesetz strafbar sind. Eine Erhöhung des Grenzwertes wäre nach dem BGH nur vorzunehmen, wenn eine geänderte Risikobewertung hinsichtlich des Cannabiskonsums gegeben wäre. Die Entkriminalisierung führt aber nicht zu einer veränderten Einschätzung der Gefährlichkeit von Cannabis. Dies sieht der BGH damit anders als der Gesetzgeber, der in seiner Gesetzesbegründung von einer geänderten Risikobewertung ausgeht, anhand derer an den bisherigen Grenzwerten nicht mehr festgehalten werden kann. Der BGH stützt sich bei seiner Argumentation darauf, dass sich die Gefährlichkeit und die Wirkweise des THC durch das Konsumcannabisgesetz nicht verringert haben. Dies spricht somit gegen die geänderte Risikobewertung. Daher bestehen keine Bedenken an dem Festhalten des Grenzwertes von 7,5g THC.

Diese Wertgrenze ermittelt der BGH nach dem durchschnittlichen THC-Wert, der erforderlich ist, um sich in einen Rauschzustand zu versetzen (15mg). Aufgrund der vergleichsweisen geringeren Gefährlichkeit von Cannabis legt der BGH als Grenzwert 500 Konsumeinheiten zu jeweils 15mg THC zugrunde und kommt damit zu einem Grenzwert von 7,5g THC, der nach der Entscheidung des 1. Strafsenates wohl auch erst einmal gelten wird.

Unklarheiten und Kritik gegenüber der Nichterhöhung der Grenzwerte trotz neuem Cannabisrecht

Der Beschluss des BGH führt zu Unklarheiten. Nach dem Konsumcannabisgesetz ist der Besitz von 60g Cannabis aus Eigenanbau oder 3 lebenden Cannabispflanzen erlaubt. Wie dies mit dem nunmehr festgesetzten strengen Grenzwert von 7,5g THC zu vereinbaren sein soll, bleibt unklar.

Die Wertgrenze von 7,5g THC hat zur Folge, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, in welcher zwar der Grundtatbestand (§ 34 Abs. 1 KCanG) vorliegt, nicht aber auch der besonders schwere Fall (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) erfüllt ist. Es bleibt somit kaum Raum für eine Anwendung des § 34 Abs. 1 KCanG. Dieser kann, unter Zugrundelegung der Auffassung des 1. Strafsenates, nur noch zur Anwendung kommen, wenn die (erlaubte) Besitzmenge geringfügig überschritten wird und einen unterdurchschnittlichen Wirkstoffgehalt aufweist. Denn bei einem durchschnittlichen THC-Gehalt wird bereits bei der geringfügigen Überschreitung der 60g Cannabis auch eine „nicht geringe Menge“ im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG vorliegen. Dies entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn ansonsten hätte es nicht der Ausgestaltung eines Grundtatbestandes und der Schaffung eines besonders schweren Falles bedurft.

Der Grenzwert von 7,5g THC führt dazu, dass nicht der Grundtatbestand, sondern der besonders schwere Fall zum Hauptanwendungsfall des § 34 KCanG wird. Bis zu 60g Cannabis sind erlaubt, eine Menge von 60,1g unterfällt dann der Strafbarkeit des § 34 Abs. 1 KCanG.
Dieses Problem sieht der BGH selbst und befasst sich in seinem Beschluss damit. Er argumentiert, dass auch ein niedriger Wirkstoffgehalt praktisch relevant sein kann und so durchaus ein eigenständiger Anwendungsraum für die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 KCanG besteht. Die ist allerdings wenig überzeugend.

Der BGH hat sich mit diesem Beschluss gegen die eindeutige Wertung des Gesetzgebers gestellt. Dieser hatte in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass der Grenzwert im Lichte der legalisierten Menge in Zukunft „deutliche höher liegen muss“ als in der Vergangenheit (vgl. BT-Drs. 20/8704, 130). Ob die anderen Strafsenate dieser Auffassung folgen werden oder, ob der große Strafsenat zur Klärung unterschiedlicher Auffassungen angerufen wird, bleibt offen.

 

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