Irrtum über
tatsächliche Umstände einer Straftat
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Tatbestandsirrtum. Droht eine Strafe auch dann, wenn ich mich über die tatsächlichen Umstände und die Gegebenheiten bei Begehung einer Straftat irre? Kann ich mich wegen Diebstahls strafbar machen, wenn ich nicht wusste, dass die Sache fremd ist? Welche Strafe droht, wenn ich versehentlich auf die falsche Person schieße?
Die Vorschriften des Strafgesetzbuches sind komplex und für den juristischen Laien nicht ohne Weiteres zu verstehen. So kommt es häufig vor, dass Täter in Bezug auf die Strafbarkeit ihres Verhaltens Irrtümern unterliegen. Diese können verschiedene Auswirkungen auf die Möglichkeit einer Bestrafung sowie die Strafhöhe haben.
Einer dieser Irrtümer ist der sogenannte Tatbestandsirrtum.
Wann unterliege ich bei Begehung einer Straftat einem Tatbestandsirrtum?
Gemäß § 16 StGB liegt ein Tatbestandsirrtum vor, wenn der Handelnde bei der Tatausführung einen Umstand nicht kennt, der Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes ist. Der Täter irrt über den Sachverhalt, das Geschehen, und erkennt aufgrund dessen nicht, dass er die Voraussetzungen einer Straftat verwirklicht. Des Öfteren wird daher auch der Begriff Tatumstandsirrtum verwendet.
Ein Tatbestandsirrtum liegt zum Beispiel vor, wenn jemand aus dem Schirmständer im Museum einen fremden Regenschirm mit nach Hause nimmt, weil er denkt, dass es sein eigener sei. Dann stellt sich die Frage, ob auch dieser Fall ein strafbarer Diebstahl ist.
Kann ich bestraft werden, wenn ich nicht merke, dass ich eine Straftat begehe?
Ein Tatbestandsirrtum führt dazu, dass die Vorsätzlichkeit ausgeschlossen ist. Das bedeutet, dass der Täter nicht wegen eines vorsätzlichen Delikts verurteilt und bestraft werden kann. Vorsatz setzt stets das Wissen um die tatsächlichen Umstände voraus. Auch wenn im oben genannten Beispiel der objektive Tatbestand des Diebstahls erfüllt ist, da der Regenschirm tatsächlich fremd ist, fehlt es an dem Vorsatz des Täters eine fremde Sache „zu klauen“. Ist das Verhalten jedoch auch bei Fahrlässigkeit strafbar, so kommt eine entsprechende Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht. Voraussetzung ist dann aber natürlich, dass dem Betroffenen ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann. Das kommt auf den konkreten Fall, das konkrete Geschehen an. Diebstahl kann nicht fahrlässig begangen werden, sodass beim Irrtum über die Fremdheit der Sache nicht wegen Diebstahls bestraft werden kann.
Kann ich bestraft werden, wenn ich das Strafgesetz falsch verstehe?
Ein Subsumtionsirrtum liegt vor, wenn der Täter bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen einem Irrtum unterliegt. Er ist daher eher dem zuvor genannten Verbotsirrtum zuzuordnen. Ein Subsumtionsirrtum führt daher anders als ein klassischer Tatbestandsirrtum nicht zum Vorsatzausschluss. Ein Subsumtionsirrtum liegt zum Beispiel vor, wenn der Täter seinem Nachbarn ein Huhn entwendet, wobei er irrig davon ausgeht, dass Tiere keine Sachen im Sinne des § 242 StGB sind und er daher den Tatbestand des Diebstahls nicht erfüllt.
Kann ich bestraft werden, wenn ich mich bei Begehung einer Straftat über den Ablauf des Geschehens irre?
Ein Irrtum über den Kausalverlauf kann bei einem atypischen Kausalverlauf vorliegen. Es muss also ein Geschehensablauf vorliegen, der vom vorgestellten Geschehensablauf wesentlich abweicht. Wenn sich die Abweichung außerhalb der Grenzen dessen, was nach allgemeiner Lebenserfahrung vorstellbar und vorhersehbar ist, dann führt der Irrtum auch hier zum Vorsatzausschluss, sodass allenfalls eine Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit in Betracht kommen kann. Ist die Abweichung zwischen dem vorgestellten und dem tatsächlich eingetretenen Kausalverlauf jedoch unwesentlich, so bleibt der Vorsatz des Täters bestehen.
Kann ich bestraft werden, wenn ich das Opfer verwechsele?
Bei einem sogenannten error in persona vel objecto irrt der Täter über sein Handlungsobjekt. Er verletzt eine Person bzw. Sache, obwohl er eigentlich eine andere Person bzw. Sache verletzten wollte. Man spricht in diesem Fall auch von einer Objektverwechselung. Wenn die getroffenen Objekte gleichwertig sind, dann lässt der Irrtum den Vorsatz nicht entfallen (schließlich steht nicht der Name des konkret verletzten Menschen im Strafgesetz, sondern nur z.B. „anderer Mensch“). Nur bei Ungleichwertigkeit – zum Beispiel bei einer Verwechslung einer Sache mit einem Menschen – entfällt der Vorsatz. Dann kommt aber Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich des gewollten Objektes sowie eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit wegen des verletzten Objektes in Betracht.
Wer also zum Beispiel denkt, er schießt auf einen Gartenzwerg und dabei einen Menschen trifft, kann sich wegen versuchter Sachbeschädigung und fahrlässiger Tötung strafbar machen.
Hiervon abzugrenzen ist das Rechtsinstitut der aberratio ictus (aus dem lateinischen übersetzt bedeutet das in etwa „Fehlgehen des Schlages“). Auch hier geht die Tat fehl.
Der vom Täter geplante Verletzungserfolg tritt also an einem anderen Objekt ein, als dem vom Täter anvisierten und gewünschten Objekt. In diesem Fall kann der Täter wegen eines Versuchs am anvisierten Objekt und wegen einer Fahrlässigkeitstat bei dem getroffenen Objekt verurteilt werden.
Ein Beispiel für dieses Fehlgehen der Tat ist der Fall, dass jemand auf eine Person schießt und versehentlich die Person trifft, die neben der anvisierten Person steht. Dann droht eine Strafe wegen versuchter Tötung und wegen fahrlässiger Tötung (soweit die Person stirbt. Wird die Person „nur“ verletzt, droht eine Strafe wegen insbesondere fahrlässiger Körperverletzung).
Kann ich bestraft werden, wenn ich irrig davon ausgehe, dass mein Verhalten gerechtfertigt ist?
Ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegt vor, wenn sich der Täter über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes irrt und sein Verhalten bei Vorliegen der Umstände, die er sich irrig vorgestellt hat, gerechtfertigt wäre. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegt zum Beispiel vor, wenn ein Täter das Opfer erschießt, weil er fälschlicherweise davon ausging, dass dieser ein Messer in seiner Hand hält und ihn erstechen werde. Tatsächlich hielt das Opfer jedoch lediglich eine Wurst in der Hand. Nach herrschender Meinung führt ein solcher Irrtum zum Entfallen des sogenannten Vorsatzschuldvorwurfs. Das bedeutet, dass der Täter auch bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum nicht aus dem vorsätzlichen Delikt bestraft werden kann. Auch hier ist allerdings eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit denkbar.
Der Doppelirrtum bei der Begehung von Straftaten – wenn man sich mehrfach irrt
Ein Doppelirrtum liegt vor, wenn der Täter nicht nur über die Widerrechtlichkeit seines Verhaltens, sondern zusätzlich noch über die Reichweite eines vermeintlichen Rechtfertigungsgrundes irrt. Es handelt sich um ein Zusammentreffen eines Erlaubnisirrtums mit einem Erlaubnistatbestandsirrtums. Der Täter nimmt also irrig die tatsächlichen Voraussetzungen für einen gesetzlichen anerkannten Rechtfertigungsgrund an und verkennt zugleich dessen rechtliche Grenzen. Der Täter irrt bei einem Doppelirrtum sowohl über Tatsachen als auch über rechtliche Wertungen. Ein Doppelirrtum wird hinsichtlich der Rechtsfolgen genauso wie ein Verbotsirrtum behandelt. Denn auch wenn die Vorstellung des Täters über die tatsächlichen Voraussetzungen stimmen würde, wäre sein Verhalten nicht gerechtfertigt. Der Vorsatz des Täters bleibt also bestehen, es kann lediglich zu einem Entfallen der Schuld kommen.
Ein Doppelirrtum kann zum Beispiel dann vorliegen, wenn eine Ehefrau irrig annimmt, dass ihr Ehemann nach einem Streit, in welchem er sie mehrmals geschlagen hat, mit einer Axt aus dem Keller kommt, um sie zu erschlagen. Sie schießt ihm daher direkt ins Herz, obwohl sie mehrere Schüsse zu Verfügung hat. Selbst wenn der Ehemann hier tatsächlich eine Axt aus dem Keller geholt hätte, müsste die Ehefrau ihren Mann zuerst warnen oder versuchen ihn kampfunfähig zu schießen. Der sofortige Schuss ins Herz wäre auch bei der Richtigkeit der Vorstellung der Ehefrau in Bezug auf die Tatsachen nicht gerechtfertigt
Droht eine Strafe, wenn ich nur irrig denke, ich begehe eine Straftat?
Ein umgekehrter Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn irrig Umstände angenommen werden, die einen Tatbestand verwirklichen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn jemand eine Sache beschädigt ohne zu wissen, dass die Sache ihm selbst gehört. Das Verhalten kann dann als sogenannter untauglicher Versuch strafbar sein.
Die strafrechtliche Irrtums- und Vorsatzlehre ist wie aufgezeigt komplex und sie zu verstehen erfordert durchaus juristisches Fachwissen. Sollten Sie mit dem Vorwurf einer Straftat konfrontiert sein, empfiehlt es sich daher, sich an einen erfahrenen und spezialisierten Anwalt für Strafrecht zu wenden. Dieser weiß, worauf bei der rechtlichen Beurteilung Ihres Falles zu achten ist und kann eine geeignete Verteidigungsstrategie entwickeln.
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